Gefahrguttransport - Selbstbelastungsfreiheit

Wer von der Po­li­zei zwecks Er­mitt­lung einer Ord­nungs­wid­rig­keit um Aus­kunft er­sucht wird, wer der Ver­ant­wort­li­che für die Ein­hal­tung von Vor­schrif­ten zur Ge­fahr­gü­ter­be­för­de­rung ist, kann die An­ga­be der Daten ver­wei­gern, wenn er selbst oder ein naher An­ge­hö­ri­ger diese Auf­ga­be in­ne­hat.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hob eine an­ders­lau­ten­de Ent­schei­dung auf und be­ton­te, dass nie­mand ge­nö­tigt wer­den darf, sich selbst einer Straf­tat oder Ord­nungs­wid­rig­keit zu be­zich­ti­gen. 

Der Fall: Gefahrgut ohne Feuerlöscher transportiert

Ein Speditionsunternehmen erhielt den Auftrag zur Beförderung einer Ladung, die die Polizei als Gefahrgut erkannte. Auf dem Lkw fehlte unter anderem ein Feuerlöscher, der für den Transport von Gefahrgütern vorgeschrieben ist. Die Polizei forderte von der Spedition die Bekanntgabe der Identität der Person, die für die Einhaltung der Gefahrgutvorschriften verantwortlich ist, um diesen für die vorangegangene Ordnungswidrigkeit zu belangen.

Der Fahrer schrieb zurück, er sei verantwortlich. Das akzeptierte die Polizei nicht, weil ein Angestellter keine Unternehmerpflichten wahrnehmen könne. Sie betrachtete den Geschäftsführer selbst als Verantwortlichen und trug ihm auf, seine Personendaten bekanntzugeben. Seine Personalien bekam sie, im Übrigen machte er aber im Hinblick auf den Verantwortlichen von seinem Zeugnisverweigerungsrecht für sich und nahe Angehörige Gebrauch. Er bekam Bußgelder in Höhe von 550 Euro wegen des fehlenden Feuerlöschers und in Höhe von weiteren 1.000 Euro auferlegt, weil er die Personalien des Gefahrgutbeauftragten nicht angegeben hatte.

Auf seine Einsprüche hin stellte das Amtsgericht Regensburg das Verfahren wegen des ersten Bescheids ein, verurteilte ihn aber zu der zweiten Geldbuße. Dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Bamberg gehalten (Beschluss vom 26.06.2018, Az. 2 Ss OWi 321/18). Erst seine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25.01.2022, Az. 2 BvR 2462/18) war erfolgreich.

BVerfG: Keine Pflicht zur Selbstbelastung

Das BVerfG hob die vorhergehenden Urteile auf, weil sie gegen das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Persönlichkeitsrecht und Rechtsstaatsprinzip) und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde) verstoßen.

Die Auskunftspflicht in § 9 GGBefG bringe den Verpflichteten möglicherweise in den Konflikt, sich selbst einer Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen, mit einer Falschaussage eine Straftat zu begehen, oder wegen des Schweigens Zwangsmaßnahmen zu erdulden. In dieser Situation billige das Grundgesetz ihm zu, von der Aussagefreiheit Gebrauch zu machen, denn der Zwang, sich selbst zu belasten sei mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren. Sowohl der Beschuldigte in einem Strafverfahren als auch der Betroffene in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren dürften nicht genötigt werden, zu der eigenen Überführung aktiv beizutragen.

Praxishinweis: Laufen die Überwachungsvorschriften leer?

Die gesetzliche Auskunftspflicht nach § 9 GGBefG zum Schutz von Gemeinwohlbelangen könne nach Ansicht des BVerfG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die Polizei hatte in ihren Schreiben aber deutlich gemacht, dass sie die Auskunft nicht haben wollte, um den Betrieb zu überwachen, sondern um den Verantwortlichen wegen des fehlenden Feuerlöschers beim Transport zu verfolgen. Das polizeiliche Auskunftsersuchen diente im hier vorliegenden Fall nicht der allgemeinen Überwachung von gefahrgutbefördernden Transportunternehmen und war damit nicht präventiv auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerichtet.

Insoweit kann es nützlich sein, in solchen Fällen bei der Polizei erst einmal keine Aussagen zur Sache zu machen und danach eingehende polizeiliche Schriftstücke nur mit anwaltlicher Hilfe zu beantworten.

Schlagworte zum Thema:  Gefahrstoff, Arbeitsschutz, Rechtsprechung