Ein BEM hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum

Der Arbeitgeber muss nach einem Urteil des LAG Düsseldorf nach einem durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) erneut ein solches bEM durchführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird.

Ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" hat - so das LAG - ein bEM nicht. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des bEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Der Fall: Arbeitnehmer erkrankt unmittelbar nach dem zuvor durchgeführten bEM erneut für längere Zeit

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung. Der 1973 geborene, schwerbehinderte Kläger arbeitete seit 2001 zuletzt als Produktionshelfer bei der Beklagten. Diese beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Der Kläger war im Jahr 2010 an 45 Tagen, im Jahr 2011 an 90 Tagen, im Jahr 2012 an 31 Arbeitstagen, im Jahr 2013 an 85 Tagen, im Jahr 2014 an 40 Tagen, im Jahr 2015 an 258 Tagen, im Jahr 2016 an 213 Tagen, im Jahr 2017 an 19 Tagen, im Jahr 2018 an 52 Tagen und im Jahr 2019 an 51 Tagen arbeitsunfähig erkrankt.

Dadurch entstanden erhebliche Entgeltfortzahlungskosten. Die Beklagte sprach dem Kläger 2015 zunächst eine ordentliche betriebsbedingte, 2016 eine personenbedingte Kündigung aus, jeweils erfolglos. Vor ihrer zweiten personenbedingten Kündigung vom 26.9.2019 führte die Beklagte am 5.3.2019 ein bEM durch. Dieses unterblieb vor der dritten krankheitsbedingten Kündigung vom 26.2.2020. Der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage gab das ArbG statt.

LAG: Es hätte ein weiteres bEM durchgeführt werden müssen

Das LAG Düsseldorf (Urteil vom 9.12.2020, 12 Sa 554/20) wies die Berufung des Arbeitgebers im Wesentlichen deshalb zurück, weil diese das vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erforderliche erneute bEM nicht durchgeführt hatte, wozu sie aufgrund der Auslegung des § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet gewesen sei.

Ein bEM sei im Zeitablauf wiederholt durchzuführen oder jedenfalls anzubieten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erneut erfüllt werden. Mit der Beendigung des Berechnungszeitraumes, d. h. dem Zeitpunkt, in dem eine sechswöchige Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, setzte zugleich ein neuer ein.

Praxishinweis: Jahresablauf ist nicht entscheidend

Die sehr lesenswerte und gut begründete Entscheidung klärt ein in der Praxis nicht selten auftretendes Problem: Erkrankt ein Arbeitnehmer nach einem durchgeführten bEM erneut für einen Zeitraum, der insgesamt 6 Wochen und mehr dauert, ist erneut ein bEM durchzuführen, selbst, wenn das seit dem letzten bEM noch kein ganzes Jahr vergangen ist. Das bEM hat also, wie es das LAG auch ausdrückt - kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“.

Es kann für einen Arbeitgeber naheliegend sein, nach einem durchgeführten bEM, in dem Reintegrationsschritte in die Arbeitsabläufe des Betriebs vereinbart wurden, bei einer, auch kurzfristig auftretenden, erneuten langfristigen Erkrankung des Arbeitnehmers eine krankheitsbedingte Kündigung ins Auge zu fassen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung dieser Kündigung prüfen wird, ob nach der erneuten Erkrankung ein erneutes bEM stattgefunden hat - unabhängig davon, wie lange das letzte zurücklag!