Der Schutz durch das Arbeitszeitgesetz

„Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ umschreibt immer noch treffend die klare Abgrenzung zwischen Frei- und Arbeitszeit, die durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gewährleistet wird. Eine aktuelle Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein setzt nun auch klare Grenzen, was die - u.a. digitale - Erreichbarkeit von Arbeitnehmern in ihrer Freizeit angeht.

Der Fall: Dienstplanänderung während der Freizeit

Der Kläger ist bei der Beklagten als Notfallsanitäter in Vollzeit tätig. Es gilt eine Betriebsvereinbarung, nach der den Beschäftigten im Bereitschaftsdienst Dienste auch kurzfristig zugeteilt werden können. Am 6.4.2021 endete der Dienst des Klägers um 19.00 Uhr. Zu jenem Zeitpunkt war seit dem 4.4.2021 um 8.22 Uhr für den 8.4.2021, den nächsten Arbeitstag des Klägers, im Ist-Dienstplan ein „unkonkreter Springerdienst“ eingetragen. Am 7.4.2021 um 13.20 Uhr teilte die Beklagte dem Kläger für den 8.4.2021 einen Dienst in der Tagschicht in der Rettungswache P. mit Dienstbeginn um 6.00 Uhr zu und trug dies in den Ist-Dienstplan ein. Versuche, den Kläger telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Die Beklagte übersandte dem Kläger um 13.27 Uhr eine SMS. Am 8.4.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Er wurde von der Beklagten, die zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen hatte, nicht weiter eingesetzt. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Ermahnung, bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Kläger elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab. Für den 15.9.2021 war für den Kläger im Ist-Dienstplan zunächst ein Dienst als „Springer kurzfristig“ eingetragen, den die Beklagte am 10.9.2021 auf den „Tagdienst“ einschränkte. Am 14.9.2021 hatte der Kläger frei. Um 9.15 Uhr an diesem Tag konkretisierte die Beklagte den Dienst auf eine um 6.30 Uhr aufzunehmende Tätigkeit in P. Auch diesmal war der Kläger telefonisch nicht zu erreichen. Die Beklagte schickte ihm erneut eine SMS und auch eine E-Mail. Am 15.9.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme gegenüber dem Arbeitszeitgestalter der Beklagten Z. an. Dieser forderte ihn zur Arbeitsaufnahme in P. auf. Tatsächlich nahm der Kläger seinen Dienst um 8.26 Uhr in P. auf. Die Beklagte wertete die Zeit von 6.30 Uhr bis 8.26 Uhr als unentschuldigtes Fehlen, erteilte dem Kläger eine Abmahnung wegen dieses Sachverhalts und zog ihm 1,93 Stunden vom Arbeitszeitkonto ab.

Mit seiner Klage wehrt sich der Kläger gegen den Abzug von Stunden von seinem Arbeitszeitkonto und begehrt die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das Arbeitsgericht Elmshorn wies die Klage ab (Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 27.1.2022, 5 Ca 1023 a/21).

LAG: Der Arbeitnehmer hat ein Recht auf Unerreichbarkeit

Die hiergegen eingelegte Berufung war erfolgreich (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.9.2022, 1 Sa 39 öD/22). Die Stundenkürzung und die Abmahnung waren zurückzunehmen.

Mit der Änderung des Dienstplans eines Mitarbeiters übt, so das LAG, der Arbeitgeber diesem gegenüber sein Direktionsrecht aus. Die Änderung muss dem Mitarbeiter allerdings zugehen, da es sich bei der Ausübung des Direktionsrechts um eine empfangsbedürftige Gestaltungserklärung handele. Ein Mitarbeiter sei aber nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er sei auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers - etwa per Telefon - entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese somit erst bei Dienstbeginn zu.

In seiner Freizeit steht einem Arbeitnehmer ein Recht auf Unerreichbarkeit zu. Freizeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer in diesem Zeitraum den Arbeitgebern nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. In dieser Zeit müssen sie gerade nicht fremdnützig tätig sein und sind nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren nicht als Arbeitskraft. Es gehört - so das LAG - zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht. Das Recht auf Nichterreichbarkeit dient neben der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers durch Gewährleistung ausreichender Ruhezeiten (§ 5 Abs. 1 ArbZG) auch dem Persönlichkeitsschutz.

Die Beklagte durfte und musste nach der Verkehrsanschauung auch damit rechnen, dass der Kläger die ihm übersandte SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nehmen würde.

Wichtig für die Praxis

Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt verwischt mehr und mehr die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Damit sind Mindestruhepausen, wie sie das ArbZG aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorsieht, oft nicht mehr gewährleistet.

Hier bedarf es eindeutiger Regelungen zwischen den Parteien, die es ermöglichen können, Arbeitseinsätze flexibel zu organisieren. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass die arbeitsschützenden Regelungen des ArbZG „Verbotsgesetze“ sind, d.h. arbeitsvertragliche Regelungen oder Regelungen in Betriebsvereinbarungen sind nichtig, wenn sie hiergegen verstoßen. Beschäftigte müssen sich an diese damit nicht halten, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.