Corona-Infektion ist kein Arbeitsunfall

Wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob sich ein Angestellter bei der beruflichen Tätigkeit oder im privaten Bereich mit dem Covid-19-Virus angesteckt hat, liegt kein Arbeitsunfall vor. Das hat das Sozialgericht Speyer entschieden.

Der Fall: Corona-Erkrankung nach Kurzkontakt

Im April 2021 erkrankte ein Angestellter des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz an Corona. Tage zuvor war eine Kollegin positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden. Beide hatten an ihrem Präsenztag eine kurze Unterhaltung geführt. Außerdem befanden sich ihre Büros im Flur einander gegenüberliegend. Der Angestellte machte einen Arbeitsunfall geltend, was die BG – auch im Widerspruchsverfahren – ablehnte.

SG: Keine Beweislastumkehr zu Gunsten der Versicherten

Das Sozialgericht hat entschieden, dass dem Angestellten kein Anspruch auf Feststellung der Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall zusteht (SG Speyer, Urteil vom 7.2.2023, S 12 U 188/21). Zwar könne eine Corona-Infektion grundsätzlich einen Arbeitsunfall darstellen. Es fehle hier aber die haftungsbegründende Unfallkausalität.

Zwar spreche für eine Infektion am Arbeitsplatz die zeitliche Abfolge der Nachweise der Infektionen. Auch sei das Covid-19-Virus leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Gegen eine Infektion am Arbeitsplatz spreche jedoch, dass ein unmittelbarer Kontakt mit der erkrankten Kollegin auf eine wenige Minuten dauernde Unterhaltung beschränkt war, die Kollegin eine OP-Maske trug und ein Abstand von mehr als 1,5 Metern eingehalten wurde. Eine indirekte Infektion durch in der Luft befindliche Aerosole (akkumulierte infektiöse Partikel) aufgrund eines Luftaustausches zwischen den Büros hält das Sozialgericht für unwahrscheinlich. Zwar können sich Aerosole vor allem auch in Innenräumen über die Zeit akkumulieren und enthalten diese Aerosole virale Partikel ist auch eine Ansteckung über größere Distanzen möglich. Die Büroräume waren allerdings nur durch zwei Türen über einen 2 m breiten Flur „verbunden“; ein gekipptes Bürofenster sorgte für frische Luft.

Der Covid-19 Risikorechner für Aerosolübertragung und Ansteckungsgefahr in Innenbereichen des Max-Planck-Institutes für Chemie sei nicht anwendbar. Wegen Unsicherheiten und Variabilität bei den Modellannahmen würden die berechneten Ergebnisse grundsätzlich nur für die im jeweiligen Modell vorausgesetzten idealisierten Szenarien und nicht für konkrete Einzelfälle gelten.

Demgegenüber sei - auch bei gewissenhafter Vorsicht - eine Ansteckung im privaten Bereich möglich. Auch im Freien – z. B. einem Treffen mit den Nachbarn im Garten - kann es zu einer Übertragung des Covid-19-Virus durch Tröpfchen kommen. Zu bedenken sei auch, dass ein negatives Testergebnis die Möglichkeit einer Infektion mit Covid-19 nicht vollständig ausschließt, da die Tests nicht in jedem Stadium der Infektion verlässlich anschlagen.

Das Sozialgericht sieht keine Veranlassung in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Infektion praktisch jederzeit und überall erfolgt sein kann (die Inzidenz lag zum damaligen Zeitpunkt in Speyer bei weit über 100), eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Versicherten für die gesetzliche Unfallversicherung zu begründen. Der Gesetzgeber hat der bestehenden Beweisproblematik bezogen auf Infektionskrankheiten mit der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV, die grundsätzlich auch die Erkrankung an Covid-19 erfasst, Rechnung getragen. Der Versicherungsträger solle nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Eine Beweislastumkehr aus reinen Billigkeits- und/oder Gerechtigkeitsgründen komme ohnehin nicht in Betracht.

Wichtig für die Praxis

Die Anerkennung einer Corona-Erkrankung als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit (s. dazu die Entscheidung des SG Augsburg) wird sich, wie auch diese Entscheidung zeigt, ausschließlich auf die Fälle beschränken, in denen der Nachweis gelingt, dass eine berufliche Veranlassung vorlag. Das Urteil des SG Speyer bestätigt das nochmals in aller Deutlichkeit und macht auch klar, dass selbst in Fällen, in denen eine berufsbedingte Mitveranlassung nicht auszuschließen ist, keinerlei Beweislastumkehr anzunehmen ist, insbesondere nicht die BG beweisen muss, dass eine Infektion außerhalb des beruflichen Umfelds erfolgte.

Diese klare Abgrenzung hilft allen Beteiligten, weil sich so der Versuch, eine berufliche Veranlassung der Infektion als Versicherungsfall der Gesetzlichen Unfallversicherung zu belegen, auf die eindeutigen Fälle beschränken sollte.