Berufskrankheit auch durch Kombinationsbelastungen

Die Be­rufs­ge­nos­sen­schaft muss die LWS-Er­kran­kung eines Mit­glieds als Be­rufs­krank­heit an­er­ken­nen. Der Be­trof­fe­ne/Versicherte hatte in meh­re­ren An­stel­lun­gen ver­schie­de­ne Be­las­tun­gen durch Ganz­kör­per­schwin­gun­gen ei­ner­seits und schwe­res Heben und Tra­gen von Las­ten an­de­rer­seits er­lit­ten. Die Be­rech­nung einer Kom­bi­na­ti­ons­be­las­tung sei dann, so das LSG, für die An­er­ken­nung ma­ß­geb­lich.

Der Fall

Ein 1952 geborener Versicherter leidet an einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS). Der als Heimatvertriebener anerkannte Mann war in den Jahren 1975 bis 1991 als LKW-Fahrer auf unebenen Landstraßen in Kasachstan tätig. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik arbeitete er als Gießereiwerker, Betonfertigteilbauer und Lagerarbeiter.

Im Jahr 2008 schied er aus dem Berufsleben aus und bezieht eine Erwerbsminderungsrente. Seinen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit lehnte die Berufsgenossenschaft ab. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der berufsbedingten Belastung und seinem Wirbelsäulenschaden sei nicht hinreichend wahrscheinlich.

LSG Hessen: Eine Krankheit kann mehrere Berufskrankheiten bedingen

Das Landessozialgericht Hessen (Urteil vom 29.07.2021 - L 3 U 70/19) gab nun dem Versicherten Recht und verurteilte die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2110.

Zwar seien grundsätzlich die in der Berufskrankheitenliste aufgeführten Krankheiten getrennt zu betrachten, weil jede von ihnen einen eigenen Versicherungsfall bilde. Ein bestimmtes Krankheitsbild könne jedoch - wie im vorliegenden Fall der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS - durch verschiedene berufliche Einwirkungen verursacht werden. Insoweit bestehe bei entsprechender Exposition die Möglichkeit, dass eine Krankheit die Voraussetzungen mehrerer Berufskrankheiten gleichzeitig erfülle. Diese seien dann nebeneinander anzuerkennen, wobei natürlich eine einheitliche Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) festzusetzen sei.

Hier liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren LWS vor. Diese sei hinreichend wahrscheinlich auf die verschiedenen physikalischen Einwirkungen während seines Berufslebens zurückzuführen, so dass die Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2110 anzuerkennen seien. Es habe eine besonders intensive Belastung vorgelegen. 

Anhaltspunkt sei insoweit das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren. Eine solche Belastung könne durch schweres Heben und Tragen von Lasten (Nr. 2108) erfüllt werden, aber auch durch Ganzkörperschwingungen (Nr. 2110) oder durch die Kombination dieser beiden Belastungsarten. Der Versicherte habe hier durch die Kombinationsbelastung den Richtwert für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren erfüllt.

Die Tatsache, dass dem Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft für eine derartige Berechnung keine Software zur Verfügung stehe, hindere das Gericht nicht daran, die Berechnung anhand der ihm vorliegenden Daten selbst vorzunehmen.

Wichtig für die Praxis

Die Anerkennung von Berufskrankheiten ist ein schwieriges Thema, bei dem oft auch vor den Sozialgerichten gestritten wird. Gerade Erkrankungen, die ihre Ursache auch im Alltag finden können, sind schwer als Versicherungsfall durchzusetzen. Arbeitnehmern ist in solchen Fällen unbedingt zu raten, bei ärztlichen Behandlungen auf die Möglichkeit einer beruflichen Veranlassung hinzuweisen, um möglichst früh eine Einbeziehung der BG zu veranlassen.

Schlagworte zum Thema:  Berufskrankheit, Arbeitsschutz, Rechtsprechung