Vision Zero geht von 4 Grundsätzen aus:

Grundsatz 1: Das Leben ist nicht verhandelbar

Kein anderes Gut kann so wichtig sein, dass es gegen das menschliche Leben aufgerechnet werden darf. Seit 1953 werden die Zahlen der im Straßenverkehr in Deutschland verunglückten Personen durch das Statistische Bundesamt erfasst. Seitdem starben in Deutschland bei Verkehrsunfällen bis heute fast 750.000 Menschen. Dies ist deutlich mehr als die Einwohnerzahl von Frankfurt am Main. Auch jetzt, da die Zahl der bei Straßenverkehrsunfällen Getöteten historische Tiefstände erreicht hat, sterben in Deutschland an jedem Tag im Durchschnitt 10 Menschen im Straßenverkehr.

Versetzen wir gedanklich E. I. du Pont aus dem Jahre 1810 in die Gegenwart und nehmen wir an, das Automobil sei noch nicht erfunden. Nun kommt du Pont und eröffnet der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit in Deutschland, er habe nach der von ihm perfektionierten Schwarzpulverherstellung nunmehr eine ganz neue Technik erfunden, welche die persönliche Mobilität durch motorisierte, individuell steuerbare Fahrzeuge auf eine völlig neue Basis stellt. Allerdings sei nach Einführung dieser Technik mit einer neuen Art von Unfällen, nämlich den Verkehrsunfällen, zu rechnen. Sie würden nach seiner Abschätzung im Durchschnitt 10 Todesopfer täglich kosten. Es dürfte eindeutig sein, dass diese neue Technik nie eingeführt würde und der Vorschlag des Erfinders auf Ablehnung, sicher sogar Empörung stoßen würde. Wer könnte es verantworten, eine Technik einzuführen, die 10 Tote an jedem Tag verursacht! Politik, Gesellschaft und Medien wären sich in der Ablehnung einig. Das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit steht an zentraler Stelle im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – nichts anderes fordert die Vision Zero.

Grundsatz 2: Der Mensch ist fehlbar

Vision Zero geht von der Erfahrungstatsache aus, dass sich Fehler im Straßenverkehr ebenso wie am Arbeitsplatz (oft ist die Straße auch der Arbeitsplatz) nicht vollständig vermeiden lassen. Evolutionär ist der Mensch auf eine Fortbewegung mit maximalen Geschwindigkeiten zwischen 20 und 30 km/h ausgelegt. Jahrtausende lang war das der Bereich, in dem sich Menschen bewegt haben. Jahrtausende lang waren Motorik und Koordination, aber auch Wahrnehmung und Informationsverarbeitung des Menschen auf diese Maximalgeschwindigkeit ausgerichtet.

Die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Sensomotorik hat gezeigt, wie begrenzt die menschliche Kapazität ist, wenn es darum geht, die wichtigsten Informationen aus dem Umfeld aufzunehmen, zu verarbeiten und mit gespeicherten Informationen abzugleichen. Es ist evident, dass in Geschwindigkeitsbereichen, in denen sich unsere motorisierte Verkehrsteilnahme überwiegend abspielt, Fehlentscheidungen des Menschen nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel sind. Hinzu kommen – egal ob bei der Arbeit oder im Straßenverkehr – Fehler des Menschen durch emotionale, motivationale oder stressbedingte Prozesse. Deshalb ist es auf den ersten Blick nicht erstaunlich, wenn die Unfallforschung im Straßenverkehr ebenso wie am Arbeitsplatz deutlich konstatiert, dass der überwiegende Anteil aller Unfallursachen in menschlichem Fehlverhalten zu suchen ist.

Genau hier liegt aber auch der falsche Denkansatz: Wenn der Mensch mit seiner evolutionär verfügbaren Motorik, Koordination, Wahrnehmung und Informationsverarbeitung zumeist nicht in der Lage sein kann, den heutigen Straßenverkehr oder bestimmte Tätigkeiten fehlerfrei zu bewältigen, dann können wir ihm Fehler nicht vorwerfen. Oder anders formuliert: Selbst bei bestem Wissen und Gewissen ist es nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, wie hoch die jeweils aktuelle Fehlerquote ist. Bei hohen Geschwindigkeiten und/oder komplexen Arbeitssituationen wird diese Fehlerquote hoch sein. Ebenso ist es nur eine Frage der zum Glück allerdings recht niedrigen Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Unfall kommt.

Dies bedeutet allerdings auch, dass wir bei fast jedem Verkehrsunfall und ebenso bei vielen Arbeitsunfällen davon ausgehen können, dass in der Kausalkette der Unfallverursachung an vielen Stellen menschliche Fehler zu finden sein werden. Die entscheidende Frage ist dann aber, welche Fehler wir dem Menschen überhaupt vorwerfen können. Denn unsere Arbeitswelt und unser heutiges Straßenverkehrssystem sind zu selten an die Tatsache angepasst, dass Menschen Fehler machen. Weltweit sterben jeden Tag Menschen, weil ihnen selber oder anderen Fehler unterlaufen. Meistens sind es Fehler, die sich tausendfach ereignen und wegen der geringen Unfallwahrscheinlichkeit i. d. R. ohne Folgen bleiben. In einer speziellen Konstellation von Umgebungsbedingungen oder einer besonderen Interaktion mit anderen Personen oder Maschinen werden tausendfach begangene Fehler plötzlich mit dem Tod oder einer schweren Verletzung bestraft. "Fehler dürfen nie mit dem Tod bestraft werden", heißt es folgerichtig in der Konzeption von Vision Zero.

Grundsatz 3: Die tolerierbaren Grenzen liegen i...

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