3.1 Negative Folgen

Dass ständige Erreichbarkeit in der Freizeit und häufige berufsbedingte Unterbrechungen von Erholungsphasen Anspannung und Stress auslösen können, die Erholung vom Berufsalltag einschränken und damit eine erhebliche psychische und allgemein gesundheitliche Belastung darstellen können, ist grundsätzlich sehr gut nachvollziehbar und erwartbar. Allerdings sind die gesundheitlichen Auswirkungen einer solchen Arbeits- und Lebensorganisation sehr unspezifisch und kaum konkret mess- und bewertbar. Sie sind abhängig von

  • den Betroffenen selber, ihrer Wahrnehmung und ihrer psychischen Gesamtverfassung,
  • den jeweiligen Lebensumständen, v. a. von der Frage, wie stark Betroffene im Privatleben gefordert sind und welche weiteren Faktoren ggf. das psychische Wohlbefinden sonst noch beeinträchtigen,
  • den betrieblichen Umständen, z. B. vom allgemeinen Betriebsklima und dem Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten,
  • der Intensität, mit der sich Beschäftigte in ihrer Freizeit mit arbeitsbezogenen Belangen beschäftigen.

3.1.1 Belastungen aus Beschäftigtensicht

  • Überbeanspruchung durch ständige Erreichbarkeit

    Wer ständig erreichbar ist und auch tatsächlich angefordert wird, wird dadurch immer wieder aus begonnener Arbeit gerissen und kann seinen Zeiteinsatz und den Arbeitsablauf nicht planen. Dieser Verlust an Struktur im Arbeitsleben strengt an und macht Arbeitszufriedenheit schwierig. Diese ist aber für gesundes Arbeiten unerlässlich. Deswegen empfinden Beschäftigte ständige Erreichbarkeit als Problem – nicht nur nach Feierabend, sondern auch während der Arbeitszeit.

  • Belastung durch die Bewältigung schwieriger Arbeitssituationen

    Wer nach Feierabend oder am Wochenende angerufen wird, bekommt es oft mit schwierigen Arbeitssituationen zu tun: etwas ist schief gegangen, jemand kommt mit einem Problem nicht weiter, es droht Ärger – ganz egal, ob es um eine Fehllieferung beim Kunden oder eine Serverstörung geht. Solche Arbeitsaufgaben belasten auch tagsüber – in der Freizeit aber noch mehr.

  • Überbeanspruchung durch die Menge an Arbeit und Informationen

    Wer abends am Restauranttisch mit Freunden oder auf dem heimischen Sofa die Finger nicht von den Dienstmails lassen kann, lebt und arbeitet vielleicht in der ständigen Bedrohung, in der Arbeitsflut unterzugehen. Wenn die Fülle von Mails so groß und die To-do-Liste so lang ist, dass die reguläre Arbeitszeit nie ausreicht, erscheint das Vor- und Nacharbeiten zwischen 2 Arbeitstagen als überlebensnotwendig – und geht auf Dauer an die psychischen und physischen Reserven.

  • Reduzierte Freizeitqualität

    Warum auch immer Beschäftigte in der Freizeit erreichbar sind und Arbeitstätigkeiten erfüllen – sie bedauern i. d. R. den dadurch bedingten Verlust an Lebensqualität – besonders, wenn der Urlaub unter Arbeitsanforderungen leidet.

3.1.2 Risiken und Belastungen aus Expertensicht

  • Verlust an Selbstbestimmung

    Die eigene Zeit nicht steuern und (Arbeits-)Aufgaben nicht einplanen zu können, aber doch für alles verantwortlich zu sein, baut erheblichen psychischen Druck auf.

  • Verkürzte/unterbrochene Ruhezeiten

    Auch wenn viele es selbst nicht sofort so empfinden: Die im Arbeitszeitgesetz festgehaltene Ruhezeit von 11 Stunden zwischen 2 Arbeitsschichten ist physiologisch gut begründet. Wer zwischendrin immer wieder an unerledigte Themen aus dem Arbeitsleben anknüpft, erreicht nicht die erforderliche Regeneration und findet schwerer in den Schlaf.

  • Gestörte Erholungszeiten

    Urlaub (auch wenn er aktiv verbracht wird) ist die Zeit zum Ausspannen von den Belastungen des Arbeitslebens und beugt so chronischer Erschöpfung vor. Das gelingt aber nur dann gut, wenn tatsächlich abgeschaltet werden kann.

Aus diesen und ähnlichen Belastungen können typische Gesundheitsrisiken abgeleitet werden:

  • Erschöpfungszustände, Überlastungssymptome ("Burn-out");
  • Schlafstörungen;
  • anspannungsbedingte physische Probleme, wie Bluthochdruck, Magen-Darm-Symptome, Tinitusstörungen, Rückenprobleme;
  • Depressionen.

Allerdings ist die Abgrenzung von Ursachen allgemein und unter Berufstätigen weit verbreiteter Gesundheitsstörungen schwierig. Die durch die iga zum Thema "Ständige Erreichbarkeit" durchgeführte Studie konnte 2016 keinen Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und Erreichbarkeitsanforderungen beweisen. Der DAK-Gesundheitsbericht 2013 zeigt aber, dass z. B. die geringe Gruppe der Beschäftigten, die angeben, ein sehr hohes Maß an Erreichbarkeit abbilden zu müssen, signifikant mehr an Depressionen leidet, nämlich zu etwa 25 %.

3.2 Positive Folgen

Mehr oder weniger ausgedehnte Erreichbarkeit würde nicht praktiziert werden, wenn damit nicht auch positive Aspekte für die Gestaltung des Arbeitslebens verbunden wären:

  • Flexibilität, Mobilität, Autonomie

    Die Möglichkeit, von überall und jederzeit auf Arbeitsinformationen zuzugreifen, ermöglicht kreative Beschäftigungskonzepte, die Beschäftigten in bestimmten Lebenssituationen oder auch ganz allgemein gut tun. Wenn die Einhaltung einer bestimmten Erreichbarkeit der Preis für eine praktikable Homeoffice- oder Teilzeitlösung ist, kann das für Beschäftigte ein echter Gewinn sein.

  • Schnelle Unterstützung im Bedarfsfall

    Beschäft...

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