Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet den Arbeitgeber zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen. Er soll diese selbst durchführen oder an seine Führungskräfte delegieren; er kann jedoch auch fachkundige Personen (Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt) damit beauftragten. Bereits seit dem Inkrafttreten des ArbSchG im Jahr 1996 gehören auch psychische Belastungen zur Gefährdungsbeurteilung. Der Bundestag hat am 27.6.2013 durch Änderungen des ArbSchG diese Anforderung noch einmal konkretisiert; diese Änderungen sind am 25.10.2013 in Kraft getreten.[1] Mit dieser Anpassung im ArbSchG, aber auch mit der DGUV Vorschrift 2 (vgl. Abschn. 4.1), ist die Gefährdungsbeurteilung von psychischen Belastungen klar im Arbeits- und Gesundheitsschutz verankert.

Fachkräfte für Arbeitssicherheit werden seit 2001 in ihrer Ausbildung mit Fragen der Prävention von psychischen Belastungen vertraut gemacht. Die neue Sifa-Ausbildung, welche seit 2019 umgesetzt wird, behandelt dieses Thema noch umfassender.

1.1 Aktuelle Erkenntnisse der Sifa-Langzeitstudie

Die Sifa-Langzeitstudie zeigt, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit – ebenso wie Betriebsärzte, Führungskräfte und Betriebsräte – ein deutliches Tätigkeits- und v. a. Wirksamkeitsdefizit im Bereich der psychischen Belastungen haben.[1] Der Anteil der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die angeben, in diesem Bereich intensiv tätig zu sein, liegt mit max. 30 % deutlich unter den Anteilen anderer Gefährdungsfaktoren. Die Prävention von psychischen Belastungen wird zwar als offensichtlich zu erledigende Aufgabe erkannt, doch in vielen Unternehmen kümmert sich letztendlich niemand verantwortlich und intensiv darum.

Die beschriebene "Verantwortungsdiffusion" ist nach den Ergebnissen der Sifa-Langzeitstudie auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Diese liegen sowohl in persönlichen Voraussetzungen als auch in betrieblichen Handlungsbedingungen. Auf der persönlichen Ebene sieht ein erheblicher Teil der Fachkräfte für Arbeitssicherheit für sich ein großes Kompetenzdefizit. Auch eigene Handlungsweisen und die eigene Rolleninterpretation haben erheblichen Einfluss, ob sich eine Fachkraft für Arbeitssicherheit wirksam mit psychischen Belastungen befassen kann (vgl. Abschn. 1.3). Auf der betrieblichen Ebene sind wesentliche Einflussfaktoren die betriebliche Kommunikation, die Sicherheits- und Gesundheitskultur des Unternehmens, die Haltung der Führungskräfte sowie der regelmäßige direkte Zugang zur Unternehmensleitung. Dieser beeinflusst die Tätigkeit und Wirksamkeit der Fachkräfte für Arbeitssicherheit bei psychischen Belastungen in positiver Hinsicht.

 
Wichtig

Gezielte gemeinsame Weiterbildung

Um eine wirksame Beurteilung von psychischen Belastungen im Unternehmen zu erreichen, müssen Fachkräfte für Arbeitssicherheit ihre Kompetenz auf diesem Themengebiet stärken. Eine Möglichkeit ist der Besuch von Schwerpunktseminaren, die von Unfallversicherungsträgern, Verbänden und freien Weiterbildungsträgern angeboten werden. Zentrale Vorgaben wurden hierzu von der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) erarbeitet. Ein Thema sollte dabei sein, wie sich die Beurteilung der Arbeitsbedingungen im Hinblick auf psychische Belastungen im Unternehmen umsetzen lässt und welche Gestaltungsmöglichkeiten sich daraus ableiten lassen.

Die Sifa-Langzeitstudie empfiehlt eine gemeinsame Weiterbildung aller Berufsgruppen, die sich im Unternehmen mit Sicherheit und Gesundheit beschäftigen. Um ihrer Rolle bei der Beurteilung von psychischen Belastungen gerecht werden zu können, brauchen Fachkräfte für Arbeitssicherheit betriebliche und überbetriebliche Kooperationsnetzwerke. Gezielte Weiterbildung trägt dazu bei, die Hemmschwelle im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit psychischen Belastungen zu senken.

[1] Für die folgende Darstellung vgl. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Prävention wirksam gestalten – Erkenntnisse aus der Sifa-Langzeitstudie (= DGUV Report 3/2013), 2013, S. 18–20.

1.2 Psychische Belastungen im betrieblichen Kontext

Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollten zur Versachlichung der Debatte über arbeitsbedingte psychische Belastungen beitragen. Im Idealfall geschieht dies im Zusammenspiel mit anderen Fachleuten wie dem Betriebsarzt. So lassen sich Vorbehalte aus der Führungsebene, aber auch vonseiten der Mitarbeiter abbauen. Diese könnten sonst schnell davon ausgehen, dass mit einer Gefährdungsbeurteilung von psychischen Belastungen eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit einzelner Mitarbeiter einhergeht.

 
Wichtig

Betriebliche Kommunikation

Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte sollten Führungskräfte und Beschäftigte einbeziehen und kontinuierlich über den aktuellen Stand der Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen informieren. Die Kommunikation sollte möglichst umfassend und sachlich erfolgen.

Um psychische Belastungen angemessen im betrieblichen Kontext zu thematisieren, sind aus der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials geeignete Statistiken auszuwählen und mit Augenmaß zu interpretieren. Repräs...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Arbeitsschutz Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge