Nach ASR A2.3 "Fluchtwege und Notausgänge" sind Fluchtwege die Verkehrswege in einem Gebäude, "an die besondere Anforderungen zu stellen sind und die der selbstständigen Flucht aus einem möglichen Gefahrenbereich und in der Regel zugleich der Rettung von Personen dienen".

Es wird dabei folgende Unterscheidung getroffen (Abschn. 3.1 ASR A2.3):

  1. Hauptfluchtwege (bisher erste Fluchtwege) sind insb. die zur Flucht erforderlichen Verkehrswege, die nach dem Bauordnungsrecht notwendigen Flure und Treppenräume für notwendige Treppen sowie die Notausgänge.
  2. Nebenfluchtwege (bisher zweite Fluchtwege) sind zusätzliche Fluchtwege, die ebenfalls ins Freie oder in einen gesicherten Bereich führen.

Im Gegensatz zu den im Baurecht definierten Rettungswegen müssen Fluchtwege immer selbstständig nutzbar sein, also auch ohne die Hilfe der Feuerwehr ins Freie oder in einen gesicherten Bereich führen. Nach Abschn. 4 Abs. 2 ASR A2.3 ergibt sich die Notwendigkeit, ergänzend zu den baurechtlichen Bestimmungen einen solchen zweiten, selbstständig nutzbaren Nebenfluchtweg einzurichten, aus dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung.

Nebenfluchtwege sind nach Abschn. 6 Abs. 1 ASR A2.3 erforderlich, wenn die Gefahr besteht, dass der Hauptfluchtweg nicht mehr sicher begehbar ist, z. B. wenn

  1. der Hauptfluchtweg durch Bereiche mit erhöhter Brandgefährdung führt,
  2. Gefährdungen durch Lagerung oder Verwendung von Gefahrstoffen in der Nähe der Hauptfluchtwege vorhanden sind,
  3. Einwirkungen durch gefährliche Arbeiten vorhanden sind, z. B. in Aufstellräumen für Dampfkesselanlagen,
  4. bei einer hohen Anzahl von Personen im Hauptfluchtweg eine geordnete Flucht nicht mehr möglich ist,
  5. bei Produktions-, Lagerräumen oder Werkstätten, deren Grundfläche mehr als 200 m² beträgt,
  6. bei sonstigen Arbeitsräumen, deren Grundflächen mehr als 400 m² beträgt, z. B. Großraumbüros bzw. Kombibüros (z. B. Open-Space-Büros, Coworking Spaces),
  7. andere Rechtsvorschriften entsprechende Anforderungen stellen, z. B. in Versammlungsstätten, Schulen, Kindertageseinrichtungen oder
  8. andere betriebsspezifische Bedingungen vorliegen.

Auf den Nebenfluchtweg kann verzichtet werden, wenn durch zusätzliche Maßnahmen eine sichere Begehbarkeit des Hauptfluchtweges gewährleistet ist. Diese können z. B. in Bereichen mit erhöhter Brandgefährdung Maßnahmen sein, die eine schnelle Brandausbreitung und Verrauchung vermindern.

 
Wichtig

Was ist beim zweiten Rettungs- bzw. Fluchtweg zu bedenken?

  1. Bauordnungsrechtlich kann ein Aufenthaltsraum nur eingerichtet werden, wenn die Frage des zweiten Rettungsweges hinlänglich geklärt ist. Es muss dazu nicht unbedingt jeder Raum, aber jede Nutzungseinheit bzw. jedes Geschoss innerhalb einer Nutzungseinheit auf eine andere Weise als über den ersten Rettungsweg verlassen werden können. Die Bauordnungsbehörde entscheidet risikoabhängig, ob dieser zweite Rettungsweg selbstständig nutzbar sein muss, oder ob es ausreichend ist, wenn er nur mit Hilfe der Feuerwehr genutzt werden kann (z. B. Anleitermöglichkeit). Das muss bei der Umnutzung, z. B. von Keller- oder Dachgeschossräumen, berücksichtigt werden. Durch ein vergittertes Kellerfenster oder das unerreichbare Dachflächenfenster kann ein Raum zur tödlichen Falle werden.
  2. Wenn der zweite Rettungsweg nach bauordnungsrechtlichen Vorgaben selbstständig nutzbar sein soll bzw. ein Nebenfluchtweg nach Arbeitsstättenrecht eingerichtet wird, muss er, soweit er nicht ohnehin über eine normale Treppe führt, so gestaltet sein, dass er von normal körperlich konstituierten Personen genutzt werden kann. Dazu sind u. U. bestimmte Hilfsmittel wie Tritte zum Erreichen einer Fensterbrüstung oder Plattformen und Haltegriffe auf einem geneigten Dach erforderlich. Generell müssen Dachflächen, die im Notfall betreten werden sollen, mit entsprechenden Geländern gesichert sein. Notleitern gibt es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern nur in Ausnahmefällen im zweiten Rettungsweg. I. d. R. geht man davon aus, dass die Unfallgefahr auf Leitern in der Hektik des Fluchtfalles zu groß ist. Wenn Notleitern unumgänglich sind, müssen sie genauen Anforderungen entsprechen. In keinem Fall reicht es, irgendwo eine normale Haushaltsleiter bereitzuhalten.
  3. Halten sich Personen mit besonderen Einschränkungen im Gebäude auf (z. B. Gehbehinderte, Kinder usw.), muss dies beim Rettungswegekonzept berücksichtigt werden. So ist es natürlich am günstigsten, wenn für Gehbehinderte oder Rollstuhlfahrer auch der zweite Rettungsweg möglichst barrierefrei ist (z. B. im Erdgeschoss). Fluchtwege sowie Alarmierungseinrichtungen müssen grundsätzlich den Anforderungen des Anhang A2.3 der ASR V3a.2 "Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen" entsprechen bzw. es müssen gleichwertige organisatorische Maßnahmen gefunden werden, um Menschen mit Behinderung ein sicheres Verlassen eines Bereiches zu ermöglichen. Möglich sind z. B. technische Hilfen (Rettungsgeräte zum Treppentransport) oder organisatorische Maßnahmen (im Rahmen der Brandschutzordnung) erforderlich.
  4. Rettungswegeko...

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