Bei der Interspeziesextrapolation (Umrechnung vom Versuchstier auf den Menschen) wird grundsätzlich eine gleiche Empfindlichkeit von Mensch und Tier unterstellt. Die errechneten Korrekturfaktoren beziehen sich somit nur auf die unterschiedliche Größe (Körpergewicht oder Körpervolumen) von Mensch und Tier.

Der Mensch kann jedoch auch empfindlicher (oder unempfindlicher) als das Versuchstier reagieren (toxikokinetische und toxikodynamische Interspeziesvariabilität). Wenn solche Effekte bekannt sind, bedarf es in jedem Fall einer fachlichen Beurteilung durch Toxikologen.

Systemische Effekte

Aus empirischen Untersuchungen lässt sich schließen, dass zwischen physiologischen Volumenparametern, wie z. B. Blutvolumen oder Organgrößen und Körpergewichten, verschiedener Spezies eine lineare Abhängigkeit besteht (Volumina proportional Körpergewicht hoch 1). Zeitabhängige Parameter, wie z. B. Pump-Leistung des Herzens, Grundumsatz oder Sauerstoffverbrauch, verhalten sich bei verschiedenen Spezies proportional zum Körpergewicht (bw – body weight) hoch 0,75.

Da insbesondere die zeitabhängigen Parameter die innere Exposition des Organismus bestimmen, verhalten sich dementsprechend die wirkungsgleichen Gesamtdosen für verschiedene Spezies wie deren Körpergewicht hoch 0,75 (bw0,75).

Dies führt dazu, dass ausgehend von Ratten- bzw. Mäuseversuchen die wirkungsgleichen Dosen in mg/kg Körpergewicht für den Menschen um den Faktor 4 bzw. 7 kleiner sind als die Dosen, die bei einfacher Berücksichtigung des Körpergewichts (Körpergewicht hoch 1) errechnet werden. Die bekannten Stoffbeispiele stützen diese Überlegungen.

Die meisten bekannten europäischen Gremien verwenden für die systemischen Effekte bei Interspeziesextrapolation ebenfalls die vorstehend genannten Beziehungen.

Für inhalativ geprüfte Stoffe führt die Umrechnung auf dieser Basis bei Mensch und Versuchstier zu identischen wirkungsgleichen Luftkonzentrationen.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass beim Versuchstier ggf. eine Atemdepression aufgrund einer sensorischen Reizwirkung auftreten kann. Die dadurch verringerte Stoffaufnahme ist bei Übertragung der jeweiligen Luftkonzentration auf den Menschen durch einen entsprechenden Faktor zu berücksichtigen, falls nicht gezeigt werden kann, dass eine vergleichbare Atemdepression auch bei Arbeitnehmern auftritt.

Lokale Effekte

Für Stoffe mit einer kritischen Toxizität in Form lokaler Effekte am Atemtrakt können zur Interspeziesextrapolation die vorstehend beschriebenen Allometrie-Beziehungen nicht verwendet werden. Für lokale Effekte am Respirationstrakt oder an anderen Schleimhäuten ist es vielmehr plausibel, dass die Dosis des Stoffes oder des wirksamen Metaboliten pro Fläche das Ausmaß der toxischen Reaktion bestimmt.

Für die Interspeziesextrapolation sind bei lokalen Effekten daher nur die anatomischen, physiologischen und biochemischen Unterschiede von Mensch und Versuchstier zu betrachten.

Diese Unterschiede können beispielsweise dazu führen, dass die primäre Deposition eines partikelförmigen Stoffes bei Mensch und Versuchstier in verschiedenen Abschnitten des Atemtraktes erfolgt und/oder Unterschiede in Kapazität und Geschwindigkeit der metabolischen Umwandlung unterschiedliche Effekte bei Mensch und Versuchstier hervorrufen.

 
Praxis-Beispiel

Asbest im Atemtrakt der Ratte

Die andere geometrische Konstellation des Atemtraktes der Ratte gegenüber dem Menschen ist z. B. die Ursache dafür, dass die krebserzeugende Wirkung von Asbestfasern bei Inhalationsversuchen an der Ratte praktisch nicht festgestellt werden kann.

Zur summarischen Berücksichtigung möglicher Unterschiede zwischen Mensch und Versuchstier liegen derzeit keine ausreichenden Kenntnisse vor, mit denen Standardfaktoren begründet werden könnten. Beim Fehlen stoffspezifischer Daten unterstellt z. B. der AGS in der BekGS 901 daher bei lokalen Effekten eine gleiche Empfindlichkeit von Mensch und Versuchstier.

Von anderen Institutionen oder Gremien liegen hierzu keine Informationen vor.

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