Zusammenfassung

 
Überblick

Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz setzt an den grundlegenden Ursachen von unsicherem Verhalten an und verringert nachhaltig und nachweisbar sowohl die Anzahl als auch das Ausmaß von Verletzungen und Schäden. Verhaltensorientierter Arbeitsschutz erreicht, dass die Zahl unsicherer Verhaltensweisen reduziert und die Frequenz sicherer Verhaltensweisen im Arbeitsprozess erhöht wird.

1 Was ist BBS?

Die deutschen Unternehmen haben zusammen mit Unfallversicherungsträgern, Fachkräften für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizinern in den vergangenen Jahrzehnten viel in die Präventionsarbeit investiert. Das Resultat kann sich sehen lassen: In der Langzeitbetrachtung sind die Unfallzahlen deutlich rückläufig. Nicht nur die Technik an sich wurde sicherer gemacht, auch der Mensch als Risikofaktor rückte in den Fokus der Sicherheitsforschung.[1] Schließlich weitete sich das Blickfeld auf die gesamte Organisation und die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Ungeachtet aller Bemühungen in Theorie und Praxis ist menschliches Fehlverhalten nach wie vor Unfallursache Nummer Eins in den Betrieben (Abb. 1).[2]

Abb. 1: Ursachen für Unfälle

Verhaltensorientierter Arbeitsschutz (Behaviour Based Safety, BBS) setzt an den grundlegenden Ursachen von unsicherem Verhalten an und verringert nachhaltig und nachweisbar sowohl die Anzahl als auch das Ausmaß von Verletzungen und Schäden. Verhaltensorientierter Arbeitsschutz erreicht, dass die Zahl unsicherer Verhaltensweisen reduziert und die Frequenz sicherer Verhaltensweisen im Arbeitsprozess erhöht wird. In diesem Sinne stellt Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit die Auseinandersetzung mit menschlichem Verhalten dar.

Verhaltensorientierter Arbeitsschutz hat eine lange Tradition: Die Wurzeln liegen in der US-amerikanischen Verhaltensforschung. Christoph Bördlein, der 2009 ein grundlegendes Werk über Behavior Based Safety in deutscher Sprache veröffentlicht hat, definiert BBS als eine "Sammlung von Prinzipien, die auf der Grundlage der Verhaltenswissenschaft steht".[3] Zu diesen Prinzipien gehören nach Bördlein

  • die genaue Definition, was unter sicherem Arbeitsverhalten verstanden werden soll,
  • die Beobachtung von Arbeitsverhalten,
  • die Rückmeldung (Feedback) zum Arbeitsverhalten von Mitarbeitern,
  • das Setzen von Zielen für die Veränderung von Verhalten und
  • die positive Verstärkung von sicherem Verhalten.[4]

Die Ausgestaltung dieser Prinzipien – und damit die konkrete Umsetzung von BBS-Prozessen in der betrieblichen Praxis – kann jedoch sehr unterschiedlich ausfallen: "Entscheidend ist (…) nicht die Umsetzung eines vorgefertigten "Kochrezepts", sondern die genaue Anpassung der erforderlichen Maßnahmen auf die jeweiligen Bedingungen des Unternehmens."[5] Aus den einzelnen, erfolgsentscheidenden Komponenten habe sich "eine Art Inventar"[6] ausgebildet, aus dem die einzelnen BBS-Ansätze und -Programme schöpfen.

[1] Vgl. Fahlbruch/Meyer: Ganzheitliche Unfallanalyse. Leitfaden zur Ermittlung grundlegender Ursachen von Arbeitsunfällen in kleinen und mittleren Unternehmen (= Forschung Projekt F 2287), Dortmund/Berlin/Dresden 2013, S. 7 f.
[2] Laut Studien lassen sich 76 bis 96 % aller Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückführen. Vgl. Bördlein: Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS, Berlin 2009, S. 17 f.
[3] Bördlein, Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS, Berlin 2009, S. 31.
[4] Vgl. Bördlein: Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS, Berlin 2009, S. 15 und S. 137–246.
[5] Bördlein: Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS, Berlin 2009, S. 137
[6] Bördlein: Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS, Berlin 2009, S. 137.

2 Brückenschlag zum Arbeitsschutz

Erste Übertragungen verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse auf den Bereich der Arbeitssicherheit erfolgten bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.[1] H. W. Heinrich gehörte zu den Pionieren: Er untersuchte, wie sich die Sicherheitskultur eines Unternehmens auf die Unfallzahlen auswirkt. Das Ergebnis wurde als "Sicherheitspyramide" (auch: "Heinrichs Dreieck") bekannt (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Die Unfallpyramide

Ausgehend von den Ergebnissen einer mehrere tausend Fälle umfassenden Studie wurde ermittelt, dass auf jeden schweren Unfall insgesamt 29 leichtere Unfälle, 300 Unfälle ohne Verletzungsfolgen (Beinahe-Unfälle) und eine unbekannte, aber sehr hohe Anzahl von unsicheren Verhaltensweisen und Arbeitsbedingungen kommen. Diese Ergebnisse wurden in Form einer Pyramide veranschaulicht, bei der die tödlichen Unfälle die "Spitze des Eisbergs" darstellen und die riskanten Verhaltensweisen bzw. Arbeitsbedingungen das Fundament. Mit jeder Veränderung am Boden der Pyramide, die zu einer Reduzierung von gefährlichen Verhaltensweisen und Arbeitsbedingungen führt, wird automatisch auch das Aufkommen von schweren, leichten oder Beinahe-Unfällen positiv beeinflusst.

Die Prägnanz dieser Abbildung – Bördlein bezeichnet sie treffend als "didaktisches Hilfsmittel" – hat dazu geführt, dass Heinrichs Sicherheitspyramide bis heute immer wieder in der Literatur zitiert wird. Hinzu...

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