In einem Interessenkonflikt befindet sich auch der Mitarbeiter. Nicht-Dürfen bedeutet, dass auch Mitarbeiter neben Sicherheitsvorschriften andere handlungsleitende Aspekte in ihre Überlegungen einbeziehen: Eine Störung an einer Maschine hätte u. U. den Stillstand der ganzen Anlage zur Folge, sodass vorschriftswidrig eine gefährliche Art der Störungsbeseitigung gewählt wird. Es kann sogar sein, dass dies ungesagt vom Mitarbeiter erwartet wird, im Falle eines Unfalls aber er zum Sündenbock gemacht wird: "Wie konnten Sie so etwas nur tun? Sie kennen doch die Vorschriften …". Mitarbeiter merken schon, was erwünscht ist und was implizit erwartet wird.

Eine unreflektierte (und einfache) Schuldzuweisung bringt neben der Demotivation des Mitarbeiters weitere Nachteile mit sich: Künftige Unfälle werden so nicht verhindert. Besser ist es zu hinterfragen, warum sich der Mitarbeiter nicht an die Vorschriften gehalten hat.

 
Praxis-Tipp

Umgang mit Vorschriften und Regeln

Wenn Vorschriften und Regeln Konflikte für die Mitarbeiter mit sich bringen, dann sollte man so mutig sein, sie zu verändern. Kann die Vorschrift nicht eingehalten werden, weil der Mitarbeiter betriebliche Erwartungen und Ansprüche sonst nicht erfüllen kann, dann muss es entweder betriebliche Änderungen geben, damit die Vorschrift eingehalten werden kann, oder die Vorschrift muss geändert werden (das gilt natürlich nicht für gesetzliche Vorschriften). Mitarbeiter als Experten ihrer Arbeit sollten nach Möglichkeit in die Formulierung betrieblicher Arbeitsschutzbestimmungen einbezogen werden.

Exkurs: Heinrichs Dreieck – das Konzept der Sicherheitspyramide

Der US-Amerikaner Heinrich und seine Kollegen haben in den 1930er-Jahren ermittelt, dass Arbeitsunfälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Bis es zu einem schweren Unfall kommt, haben sich zahlreiche kleinere Unfälle, Beinahe-Unfälle und eine Vielzahl riskanter Verhaltensweisen ereignet. Auf jeden schweren Unfall kommen 29 leichtere Unfälle, 300 Unfälle ohne Verletzungsfolgen und eine ungeklärte, aber hohe Anzahl von Fällen riskanten Verhaltens. Diese Befunde können in einer Pyramide dargestellt werden, bei der die schweren Unfälle die Spitze darstellen und die unsicheren Verhaltensweisen das Fundament bilden (Abb. 3).

Abb. 3: Das Konzept der Sicherheitspyramide (Heinrichs Dreieck)

Das Konzept der Sicherheitspyramide veranschaulicht, dass es dann zu schweren Unfällen kommen kann, wenn viele unsichere oder riskante Verhaltensweisen stattfinden. Und im Umkehrschluss: Je weniger riskante Verhaltensweisen auftreten, desto seltener kommt es auch zu schweren Unfällen.

 
Wichtig

Offene Kommunikation im Arbeitsschutz

Beinahe-Unfälle und riskante Verhaltensweisen ernst nehmen: Je "ernster" man Beinahe-Unfälle und riskante Vorkommnisse nimmt und diese kommunizieren kann, ohne Gefahr zu laufen, dafür sanktioniert zu werden, desto eher lässt sich in der Sicherheitsarbeit Nutzen daraus ziehen und die Gefahr schwerer Unfälle senken.

Erst wenn Tabuthemen offen kommuniziert, keine Schuldigen ausgemacht und unpraktikable Regelungen auf dem Prüfstand der Mitarbeiterexpertise diskutiert werden, kann Arbeitssicherheit in wirksame Konzepte umgesetzt werden.

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