BMF, Schreiben vom 28.3.2022, IV A 3 – S 0338/19/10006 :001 (DOK 2022/0240601), BStBl I 2022, 203
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (u. a. BFH-Entscheidungen vom 2. September 2015, VI R 32/13, BStBl 2016 II S. 151; vom 29. September 2016, III R 62/13, BStBl 2017 II S. 259; vom 25. April 2017, VIII R 52/13, BStBl 2017 II S. 949 und vom 19. Januar 2017, VI R 75/14, BStBl 2017 II S. 684) ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, bei Krankheitskosten generell auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung zu verzichten. Auch Aufwendungen für Krankheit und Pflege sind nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich nur als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, soweit sie den Betrag der zumutbaren Belastung nach § 33 Absatz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) überschreiten. Der Wortlaut der Regelung sei eindeutig und differenziere bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Aufwendungen für Krankheit und Pflege und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen. Die gegen die vorgenannten Entscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerden wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Nichtannahmebeschlüsse vom 23. November 2016, 2 BvR 180/16, vom 6. Juni 2018, 2 BvR 1936/17, vom 17. September 2018, 2 BvR 1205/17, und vom 18. September 2018, 2 BvR 221/17).
Die zuletzt u. a. zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Abzugs einer zumutbaren Belastung nach § 33 Absatz 3 EStG bei der Berücksichtigung von Krankheits- und Pflegekosten als außergewöhnliche Belastungen geführten Revisionsverfahren sind mittlerweile ebenfalls beendet. Der Bundesfinanzhof hat mit Beschlüssen vom 1. September 2021, VI R 18/19, BFH/NV 2022 S. 13, und vom 4. November 2021, VI R 48/18, BFH/NV 2022 S. 120, seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Damit ist der Grund für eine vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer insoweit entfallen.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:
In der Anlage zum BMF-Schreiben vom 15. Januar 2018, BStBl 2018 I S. 2, die zuletzt durch BMF-Schreiben vom 31. Januar 2022, BStBl 2022 I S. 131, neugefasst worden ist, wird die bisherige Nummer
„2. |
Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Absatz 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung” |
mit sofortiger Wirkung gestrichen. Ein Ruhenlassen außergerichtlicher Rechtsbehelfsverfahren kommt insoweit nicht mehr in Betracht.
Die Anlage zum BMF-Schreiben vom 15. Januar 2018, a. a. O., wird mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:
„Abschnitt A (Vorläufige Steuerfestsetzung)
Steuerfestsetzungen sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen, soweit dies verfahrensrechtlich möglich ist:
- Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Satz 1 und 2 EStG
- Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG
- Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste nach § 20 Absatz 6 Satz 4 EStG (§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG a.F.)
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 1 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG sowie den mit derartigen Einkommensteuerfestsetzungen verbundenen Festsetzungen des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer beizufügen. Wird im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2014 Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Absatz 2 FGO) beantragt, ist dem zu entsprechen, soweit unter Berücksichtigung eines um 72 Euro erhöhten Kinderfreibetrags je Kind die Steuer herabzusetzen wäre und im Übrigen die Voraussetzungen des § 361 AO oder des § 69 FGO erfüllt sind. Ein Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des Kinderfreibetrags kein Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer (BFH-Urteile vom 27. Januar 2011, III R 90/07, BStBl 2011 II S. 543, und vom 15. November 2011, I R 29/11, BFH/NV 2012 S. 921); § 361 Absatz 3 Satz 1 AO und § 69 Absatz 2 Satz 4 FGO sind daher insoweit nicht anwendbar.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen, in denen eine Leibrente oder eine andere Leistung aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG erfasst wird. Eine mögliche Zuvielbelastung von Alterseinkünften muss nach der Rechtsprechung des BFH vom Steuerpflichtigen belegt werden (ständige Rechtsprechung des BFH, s. BFH-Urteil vom 21. Juni 2016, X R 44/14, BFH/NV 2016 S. 1791 und vom 1...