Leitsatz

Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist.

 

Normenkette

§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO, § 162 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger betrieb in einer deutschen Großstadt eine Diskothek. Der Außenprüfer beanstandete die Kassen- und Buchführung des Klägers als formell ordnungswidrig, verprobte die Getränkeumsätze und ermittelte einen Rohgewinnaufschlagsatz, der erheblich von den Gewinnermittlungen des Klägers abwich. Daraufhin nahm der Prüfer Hinzuschätzungen vor, gegen die der Kläger vorging. Das FG legte seiner Schätzung einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % zugrunde, wobei es sich an der vom BMF veröffentlichten Richtsatzsammlung orientierte (FG Hamburg, Urteil vom 13.10.2020, 2 K 218/18, Haufe-Index 13722447, EFG 2020, 633). Der Kläger ist der Auffassung, die Richtsätze des BMF böten keine zuverlässige Grundlage für Schätzungen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.

 

Hinweis

1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch einen äußeren Betriebsvergleich anhand der aus der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zu entnehmenden Richtsätze als grundsätzlich "anerkannte Schätzungsmethode" anzusehen. Die amtlichen Richtsätze sind keine Rechtsnormen, sondern nur anerkannte Hilfsmittel der Verprobung und Schätzung der Umsätze und Gewinne. Durch die Rechtsprechung ist ebenfalls geklärt, dass Schätzungsgrundlagen in einem Streitfall von der Finanzbehörde so dargelegt werden müssen, dass ihre Nachprüfung und insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses der Schätzung möglich ist. Hierzu müssen sowohl die Kalkulationsgrundlage – und damit auch die spezifischen Daten, auf denen die Schätzung basiert – als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offengelegt werden.

2. In keiner Entscheidung hat sich der BFH bislang näher damit auseinandergesetzt, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze des BMF beruhen, wie sie zustande kommen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der Richtsatzsammlung ergeben können. Wegen der für die steuerrechtliche, aber auch für die steuerstrafrechtlichen Praxis erheblichen Bedeutung der Verprobung und Schätzung von Besteuerungsgrundlagen anhand der amtlichen Richtsatzsammlung sieht der X. Senat Klärungsbedarf.

3. Zur Verdeutlichung des Klärungsbedarfs stellt der BFH einige Fragen, die ihm besonders bedeutsam erscheinen:

  • Welche Einzeldaten fließen mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse ein; wie wird die Repräsentativität der Daten sichergestellt und gibt es Einzeldaten, die von vornherein ausgeschlossen werden?
  • Steht die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegen?
  • Weshalb bleiben die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sog. Verlustbetrieben unberücksichtigt, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen?
  • Finden die ganz oder teilweise erfolgreichen Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung?
  • Zudem stellt sich die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung – insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen – nachzuvollziehen und zu überprüfen.
 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 14.12.2022 – X R 19/21

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