Reverse Charge bei Telekommunikationsdienstleistungen

Ab 1.1.2021 gilt das Reverse-Charge-Verfahren (Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers) unter bestimmten Voraussetzungen auch für Telekommunikationsdienstleistungen. Die Finanzverwaltung hat rechtzeitig vor Inkrafttreten der Regelung zu den Anwendungsgrundsätzen Stellung genommen und ein neues Formular dazu vorgestellt.

Hintergrund

Lt. der Gesetzesbegründung zum JStG 2020 ist es im Rahmen des Handels mit Voice over IP (VOIP) in den letzten Jahren zu Umsatzsteuerausfällen gekommen. In den bekannt gewordenen VOIP-Fällen deuten die Strukturen auf ein "klassisches Umsatzsteuerbetrugsmodell" mit Einbindung eines Missing Traders hin. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber von der unionsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Telekommunikationsdienstleistungen mit in den Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens (Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger) nach § 13b UStG einbezogen. Obwohl sich die Erkenntnisse bisher auf die VOIP-Strukturen beziehen, sind alle Telekommunikationsdienstleistungen mit einbezogen worden, um Ausweichbewegungen auf andere Bereiche zu verhindern.

Gesetzliche Neuregelung

Die gesetzliche Neuregelung führt zu 2 Veränderungen im § 13b UStG:

  • In der neu geschaffenen Vorschrift des § 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG werden als weiterer Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens die sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation benannt. Es wird klargestellt, dass § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG (Werklieferungen und sonstige Leistungen durch ausländische Unternehmer) vorrangig ist.
  • In § 13b Abs. 5 Satz 6 UStG wird vorgegeben, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nur in den Fällen schuldet, in denen er selbst ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit auf die Erbringungen von Telekommunikationsdienstleistungen gerichtet ist und dass die Finanzverwaltung ihm über diese Eigenschaft eine Bescheinigung erteilt.

Wichtig: Von der Neuregelung sind im Ergebnis Telekommunikationsdienstleistungen erfasst, die von im Inland ansässigen Unternehmern an Unternehmer ausgeführt werden, die selbst am Markt solche Leistungen erbringen.

Die Neuregelung gilt für alle Leistungen, die nach dem 31.12.2020 ausgeführt werden.

Das BMF-Schreiben vom 23.12.2020

Die Finanzverwaltung hat umfassend zu den Anwendungsregelungen der neu eingeführten Vorschrift zum Reverse-Charge-Verfahren Stellung genommen. In dem Schreiben werden zuerst umfangreich alle Verweise des UStAE geändert, die auf die bisherige Fassung des § 13b Abs. 5 UStG verwiesen haben. Da der Gesetzgeber (systematisch nachvollziehbar, aber ansonsten eher unglücklich) die Vorgaben zur Eigenschaft des Leistungsempfängers mitten in die bisherige Fassung des § 13b Abs. 5 UStG eingeschoben hat, mussten alle Verweise im UStAE, die sich auf § 13b Abs. 5 Satz 6 ff. UStG bezogen, angepasst werden.

Anwendungsgrundsätze

In einem neuen Abschn. 13b.7b UStAE nimmt die Finanzverwaltung zu den neuen Anwendungsregelungen Stellung. Dabei wird bezüglich der Definition der Telekommunikationsdienstleistungen auf die schon bestehenden Ausführungen der Verwaltung zu § 3a UStG (hier Abschn. 3a.10 UStAE) verwiesen.

Breiten Raum nehmen die Ausführungen ein, wann der Leistungsempfänger ein sog. Wiederverkäufer i. S. der Regelung ist. Dazu müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der Leistungsempfänger wird zum Steuerschuldner, wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Leistungen in deren Erbringung besteht. Dies ist nach den Vorgaben der Verwaltung dann erfüllt, wenn der Unternehmer mehr als die Hälfte der von ihm erworbenen Leistungen weiterveräußert.
  • Weiterhin muss sein eigener Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung sein. Die Finanzverwaltung führt dazu aus, dass der eigene Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung ist, wenn nicht mehr als 5 % der erworbenen Leistungen zu eigenen (unternehmerischen sowie nichtunternehmerischen) Zwecken verwendet werden.

Wichtig: Wie auch schon in den anderen – vergleichbaren – Anwendungsfällen des § 13b UStG (Bauleistungen gegenüber bauleistenden Unternehmern, Gebäudereinigungsleistungen gegenüber Gebäudereinigern) sind grundsätzlich die Verhältnisse im vorangegangenen Kalenderjahr maßgeblich. Bei Neugründungen gilt dies ebenfalls, wenn erkennbar mit der Ausführung solcher Leistungen begonnen wurde und voraussichtlich die Grenzen eingehalten werden.

Eine Ausnahme wird noch bei einem eigenen Verbrauch von mehr als 5 %, aber nicht mehr als 10 % geregelt: In diesem Fall sollen die Voraussetzungen dennoch erfüllt sein, wenn die im Mittel der vorangegangenen 3 Jahre zu eigenen Zwecken verbrauchten Leistungen 5 % der in diesem Zeitraum erworbenen Leistungen nicht überschritten haben.

Wichtig: Im Unternehmen selbst erzeugte Leistungen bleiben bei der Beurteilung der vorgegebenen Grenzwerte unberücksichtigt. Ob die selbst erzeugten Leistungen veräußert oder zum eigenen Verbrauch im Unternehmen verwendet werden, ist daher unbeachtlich.

Neuer Vordruck als Nachweis

Die Finanzverwaltung hat zum Nachweis der Voraussetzungen ein neues Formular (USt 1 TQ) vorgestellt, in dem dem Leistungsempfänger die Eigenschaft als Wiederverkäufer für Telekommunikationsdienstleistungen bestätigt wird. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ist diese Bescheinigung auf max. 3 Jahre zu beschränken und kann nur für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden.

Wichtig: Der Leistungsempfänger wird zum Steuerschuldner für die ihm gegenüber ausgeführten Telekommunikationsdienstleistungen, wenn er dieses Formular verwendet, selbst wenn er die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Wird ein gefälschter Nachweis verwendet, gilt dies aber nicht, wenn der leistende Unternehmer davon Kenntnis hatte.

Die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ist nicht davon abhängig, dass er die Bescheinigung gegenüber dem leistenden Unternehmer verwendet. Wird die Bescheinigung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen, wird der leistende Unternehmer der Steuerschuldner für die von ihm ausgeführten Telekommunikationsdienstleistungen, wenn er dies wusste oder hätte wissen müssen.

Wichtig: Hierzu gibt die Finanzverwaltung noch eine Nichtbeanstandungsregelung vor: Hatte der leistende Unternehmer in diesen Fällen keine Kenntnis oder hat er keine Kenntnis haben können, wird es beim leistenden Unternehmer und beim Leistungsempfänger nicht beanstandet, wenn beide einvernehmlich von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgehen und durch diese Handhabung keine Steuerausfälle entstehen; dies gilt dann als erfüllt, wenn der Umsatz vom Leistungsempfänger in zutreffender Höhe versteuert wird.

Sonderfälle

Abschließend nimmt die Finanzverwaltung noch zu 2 Sonderfällen Stellung:

  • In Organschaftsfällen wird – soweit die Voraussetzungen nicht für den ganzen Organkreis vorliegen – nur der Teil des Organkreises als Wiederverkäufer angesehen, der die Voraussetzungen erfüllt. Die Rechtsfolgen des § 13b UStG ergeben sich dann nur für diesen jeweiligen Teil des Organkreises.
  • Werden bezogene Telekommunikationsdienstleistungen für nichtunternehmerische Zwecke verwendet, wird der Leistungsempfänger unter den weiteren Voraussetzungen trotzdem zum Steuerschuldner nach § 13b UStG. Ausgenommen hiervon sind die sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation, die ausschließlich an den nichtunternehmerischen Bereich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden, auch wenn diese im Rahmen von Betrieben gewerblicher Art als Wiederverkäufer von sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation unternehmerisch tätig sind.

Übergangsregelungen

Die Regelungen zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens haben nicht nur eine Bedeutung für die Frage, wer die Umsatzsteuer schuldet. Auch auf die korrekte Abrechnung (Netto-Rechnung ohne gesonderten Steuerausweis, Hinweis in der Rechnung auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft, wenn § 13b UStG anzuwenden ist; gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in einer Rechnung, wenn die Leistung nicht unter das Reverse-Charge-Verfahren fällt) muss geachtet werden.

Aus Vereinfachungsgründen kann bei den Telekommunikationsdienstleistungen des § 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG wie folgt verfahren werden:

  • Hat der Unternehmer vor dem 1.1.2021 eine Anzahlung für eine ab dem 1.1.2021 ausgeführte Lieferung erhalten und dafür eine Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer ausgestellt, ist diese Rechnung im Voranmeldungszeitraum der tatsächlichen Ausführung der Leistung zu berichtigen. Erfolgt keine Berichtigung, würde sich die Rechtsfolge des § 14c Abs. 1 UStG ergeben. Es wird aber nicht beanstandet, wenn der leistende Unternehmer die Anzahlungsrechnung nicht berichtigt und in der (Reverse-Charge-)Schlussrechnung nur den um das vereinnahmte Entgelt geminderten Betrag angibt; Voraussetzung ist, dass der leistende Unternehmer die Anzahlung in zutreffender Höhe erklärt.
  • Wird für eine vor dem 1.1.2021 ausgestellte Rechnung die Anzahlung erst ab dem 1.1.2021 vereinnahmt, ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner; eine dem entgegenstehende Rechnung muss berichtigt werden. Maßgeblich ist jeweils die Ausführung der Leistung, Teilleistung oder die Vereinnahmung der Anzahlung, nicht das Ausstellungsdatum der Rechnung.
  • Wird eine Rechnung ab dem 1.1.2021 ausgestellt für eine Leistung, die vor dem 1.1.2021 ausgeführt worden ist, bleibt der leistende Unternehmer Steuerschuldner. Die Rechnung ist mit Umsatzsteuer zu erstellen.
  • Bei der Berichtigung nach dem 31.12.2020 einer vor dem 1.1.2021 erstellten und bezahlten Rechnung über Anzahlungen, kann wie folgt verfahren werden: Wurde die Anzahlungsrechnung vorher nicht berichtigt, erfolgt eine Berichtigung nur insoweit, als der überzahlte Betrag zurückgezahlt wurde und insoweit die Grundlage für die Versteuerung der Anzahlung entfallen ist. Der Leistungsempfänger wird bei Anwendung der Nichtbeanstandungsregelung nur insoweit zum Steuerschuldner, wie ein weiteres Entgelt vereinnahmt wird.

Wichtig: Im Rahmen einer grundsätzlichen Nichtbeanstandungsregelung wird es von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn für alle Telekommunikationsdienstleistungen, die vor dem 1.4.2021 ausgeführt werden, die Beteiligten einvernehmlich noch von der Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers ausgehen. Der Umsatz muss dann aber vom leistenden Unternehmer in zutreffender Weise besteuert werden. Dies gilt auch in den Fällen, in denen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.4.2021 vereinnahmt wird und die Leistung erst nach der Vereinnahmung des Entgelts oder von Teilen des Entgelts ausgeführt wird.

Konsequenzen für die Praxis

Zu der weiteren – unionsrechtlich zulässigen – Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens hat die Finanzverwaltung rechtzeitig vor Inkrafttreten umfassend Stellung genommen und eine Nichtbeanstandungsfrist bis Ende März 2021 vorgegeben. Bis dahin sollten die Regelungen umgesetzt sein.

Da die Regelungen analog der schon bestehenden Grundsätze bei den Bauleistungen und den Gebäudereinigungsleistungen konzipiert worden sind, sollten sich keine neuen systematischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung ergeben. Zu beachten ist, dass die betroffenen Unternehmer (Leistungsempfänger) zeitnah die Erteilung der neuen Bescheinigung USt 1 TQ beantragen, diese kann allerdings auch von Amts wegen erteilt werden, wenn die Finanzverwaltung feststellt, dass die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

BMF, Schreiben v. 23.12.2020, III C 3 – S 7279/19/10006 :002

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