Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Weiterbewilligung unter der Annahme unveränderter Verhältnisse. Rücknahme der Leistungsbewilligung im vorherigen Bewilligungszeitraum. Widerspruch mit aufschiebender Wirkung. Arbeitslosengeld II. Unterkunftskosten. Nichtberücksichtigung von Mietkaufraten. Vermögensbildung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 67 Abs 5 S 3 SGB II (als Teil des Sozialschutzpakets - Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen unter der Annahme unveränderter Verhältnisse) findet grundsätzlich auch Anwendung, wenn im Vorbewilligungszeitraum die Leistungsbewilligung nach § 45 SGB X zurückgenommen, hinsichtlich des hiergegen eingelegten Widerspruchs jedoch gemäß § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG die aufschiebende Wirkung angeordnet worden ist.

2. Eine Weiterbewilligung unter der Annahme unveränderter Verhältnisse kann jedoch ausnahmsweise nicht erfolgen, wenn hierdurch SGB II-Leistungen "sehenden Auges" zu Unrecht weitergewährt würden (hier: KdU-Leistungen für Aufwendungen, die in erster Linie der Vermögensbildung dienen).

3. Für die Übernahme sog Mietkaufraten als Kosten der Unterkunft ist entscheidend, ob es sich in der Sache um Mietzins oder aber um der Vermögensbildung bzw der Schuldentilgung dienende Kaufpreisraten handelt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Juli 2020 insoweit aufgehoben, als der Antragsgegner vorläufig verpflichtet worden ist, für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 auch die sog Mietkaufraten in Höhe von 247,50 Euro pro Monat (in den bisherigen Leistungsbewilligungen als „Grundmiete“ ausgewiesen) zu übernehmen.

Der Antragsgegner erstattet dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde des Antragsgegners richtet sich gegen die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 17. Juli 2020, soweit der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 auch zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) hinsichtlich der vom Antragsteller für seine Unterkunft zu zahlenden (hälftigen) Mietkaufraten verpflichtet worden ist.

Der 1966 geborene Antragsteller bezieht seit Januar 2013 vom Antragsgegner durchgängig SGB II-Leistungen. Er lebt mit seiner 1970 geborenen Ehefrau zusammen, die keine Grundsicherungsleistungen, sondern eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (651,11 Euro pro Monat) sowie Pflegegeld (Pflegegrad 4 - 728,00 Euro pro Monat) erhält. Die Antragsteller bewohnen seit 2012 ein Einfamilienhaus mit 140 m² Wohnfläche auf einem 1.700 m² großen Grundstück.

Am 24. Mai 2013 schlossen der Antragsteller, seine Ehefrau sowie der Eigentümer des Hauses einen notariellen „Grundstücksmietkaufvertrag nebst Auflassung“. Aus Teil A dieses Vertrags ergibt sich, dass die Grundschulden damals noch mit einem Gesamtbetrag von ca. 42.000,00 Euro valutierten. In Teil B („Mietvertrag“) war eine monatliche Miete von 550,00 Euro vorgesehen, wobei sich der Eigentümer verpflichtete, diese Miete bis zur Löschungsreife der Grundschulden zur Rückzahlung der Darlehensverbindlichkeiten zu verwenden. Betriebs- und Nebenkosten (mit Ausnahme der Grundsteuer) sowie Kosten für Klein- und Schönheitsreparaturen sind vom Antragsteller und seiner Ehefrau zu tragen. In Teil C („Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages“) unterbreitete der Eigentümer dem Antragsteller und seiner Ehefrau ein zunächst bis zum 31. Dezember 2021 befristetes unwiderrufliches Kaufangebot für die Immobilie (vgl zur Widerrufsmöglichkeit bei außerordentlicher Kündigung des Mietverhältnisses: § 1 Abs 3 Teil C des Vertrags). Gleichzeitig bewilligte der Eigentümer eine Auflassungsvormerkung zugunsten des Antragstellers und seiner Ehefrau. Teil E des Vertrags enthält einen Kaufvertrag, in dem der Kaufpreis für die Immobilie auf 55.000,00 Euro festgesetzt wurde. Sämtliche Mietzinszahlungen sowie die Mietkaution (1.000,00 Euro) sind in voller Höhe auf den Kaufpreis anzurechnen. § 1 Abs 1 Satz 3 des Kaufvertrags lautet wie folgt: „Der Käufer nimmt den Kauf an und verpflichtet sich zur Abnahme des Kaufobjekts“.

Auch nachdem der Antragsteller diesen Vertrag im August 2017 beim Antragsgegner vorgelegt hatte, berücksichtigte der Antragsgegner bei ihm weiterhin kopfanteilig 247,50 pro Monat als KdU (in der Bedarfsberechnung als „Grundmiete“ bezeichnet; vgl zuletzt für die Monate Januar bis Juli 2020: Bewilligungsbescheid vom 7. Januar 2020).

In der Zeit ab Januar 2020 forderte der Antragsgegner den Antragsteller mehrfach auf, ergänzende Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen seiner Ehefrau sowie zu den anfallenden Unterkunftskosten zu machen. Sodann nahm der Antragsgegner die Gewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. März 2020 hinsichtlich der Übernahme von Mietkaufraten als KdU zurück (Herabsetzu...

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