Betreuung im Übergang zwischen altem und neuem Recht ab 1.1.2023

Betreuung wird angeordnet, wenn Volljährige aufgrund psychischer Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung ihre Angelegenheiten nicht oder teilweise nicht besorgen können. Immer wieder kommt es zu Fragen zum Selbstbestimmungsrecht der Betreuten. Nun soll eine Reform die Rechte Betreuter sowie Qualifizierung und Kontrolle der Betreuer stärken.

In der Praxis spielt das Betreuungsrecht, wegen der steigenden Lebenserwartung und der Zunahme psychischer Erkrankungen, eine große Rolle.

Zahl der Betreuer und Betreuungen wächst rasant

Wurden im Jahr 1992 nach einer Zusammenstellung des Bundesamtes für Justiz lediglich 75.170 Betreuerbestellung angeordnet, waren es im Jahr 2000 bereits 192.281 Bestellungen. Nach einem zwischenzeitlichen weiteren Anstieg hat sich die Zahl inzwischen wieder ungefähr auf dem Niveau des Jahres 2000 eingependelt. Insgesamt stehen in Deutschland zur Zeit ca. 1,3 Millionen Menschen unter Betreuung.

Reform des Betreuungsrechts ist verabschiedet, aber noch nicht in Kraft

Vom Gesetzgeber lange Zeit stiefmütterlich behandelt hat der Bundestag am 4.5.2021 eine umfassende Reform des Betreuungsrechts beschlossen. Bereits am 12.5.2021 wurde das „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Da die Umsetzung fachlich und organisatorisch erhebliche umfangreiche Vorbereitungen erfordert, hat der Gesetzgeber bestimmt, dass die Reform erst zum 1.1.2023 in Kraft tritt.

Der betreute Mensch steht im Mittelpunkt

Mit der Reform soll das Recht betreuter Menschen auf Selbstbestimmung maßgeblich verbessert und damit auch das Gebot größtmöglicher Autonomie aus dem „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ besser umgesetzt werden. Hierzu hat der Gesetzgeber sowohl das Betreuungsrecht als auch das Vormundschaftsrecht neu strukturiert.

MEV98005

Betreuung nur als Ultima Ratio

Die Reform stellt den Erforderlichkeitsgrundsatz bei Anordnung einer Betreuung in den Vordergrund. Hiernach darf eine Betreuung nur angeordnet werden, wenn sämtliche, der Betreuungsanordnung vorgelagerten sozialrechtlichen Hilfen nicht mehr ausreichen, um den zu Betreuenden hinreichend zu versorgen, § 1814 Abs. 3 BGB n.F. Die Bestellung eines Betreuers gegen den frei gebildeten Willen eines volljährigen Betroffenen ist unzulässig, § 1814 Abs. 2 BGB n.F.

Mitsprache- und Informationsrechte der Betroffenen

Zum Zwecke der Erreichung einer größeren Autonomie der zu Betreuenden gewährt die Reform den zu Betreuenden weitgehende Informationsrechte sowie ein weitgehendes Mitspracherecht bei der gerichtlichen Entscheidung über die Betreuerbestellung. Das Mitspracherecht umfasst gemäß § 1816 BGB n.F.

  • die Entscheidung darüber, ob eine Betreuung eingerichtet wird,
  • die Bestimmung des Umfangs der Betreuung sowie
  • die Entscheidung über die Person des Betreuers.

Wille der Betroffenen als zentraler Betreuungsmaßstab

Der Wille sowie die Wünsche des zu Betreuenden sollen künftig zum zentralen Orientierungsmaßstab des gesamten Handelns des Betreuers werden. Die Rolle des Stellvertreters darf der Betreuer nur in den Fällen einnehmen, in denen der zu Betreuende zu einer autonomen, von Gründen der Vernunft getragenen Handlung nicht in der Lage ist, § 1821 BGB n.F.

Bessere Qualifizierung und Kontrolle der Betreuer

Die Qualitätsanforderungen an die fachlichen und persönlichen Eigenschaften der Betreuer werden erhöht. Die Kontrolle über die Durchführung der Betreuung wird ausgebaut. Durch kontinuierliche Kontrollen soll der für die Betreuung zuständige Rechtspfleger in die Lage versetzt werden, Verstöße des Betreuers gegen das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten besser zu erkennen und darauf zu reagieren.

Flankierende organisatorische Maßnahmen

Auch organisatorisch wird einiges geändert. Das Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) fast künftig sämtliche öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu den Betreuungsbehörden, Betreuungsvereinen, zu ehrenamtlichen und beruflichen Betreuern zusammen. Dies dient der besseren Übersichtlichkeit der bisher in verschiedenen Gesetzen verstreute Vorschriften. Die Betreuungsbehörden werden gemäß § 8 BtOG n.F. künftig verpflichtet, sämtliche ihnen möglichen Maßnahmen wie Beratung und Unterstützungsangebote für die Betroffenen auszuschöpfen, um das Erfordernis einer Betreuung nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Betreuung soll zur Ultima Ratio werden, wenn sonst nichts mehr geht.

Mehr finanzielle Mittel für Betreuungsvereine

In der Praxis erfolgt die Betreuung häufig durch ehrenamtliche Betreuer und Betreuungsvereine. Um auch hier das Qualitätsniveau zu steigern erhalten anerkannte Betreuungsvereine künftig einen gesetzlichen Anspruch auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln, § 17 BtOG n.F. Die Umsetzung ist Aufgabe der Länder und Kommunen. Ehrenamtliche Betreuer erhalten grundsätzlich die Möglichkeit, sich einem anerkannten Betreuungsverein anzuschließen und von diesem begleitet und unterstützt zu werden, §§ 1818 ff BGB n.F.

Neues Betreuungsregister

Neu eingeführt wird ein Betreuerregister. Gemäß § 23 BtOG n.F. werden dort nur solche Betreuer registriert, die die erforderliche persönliche Eignung und Zuverlässigkeit sowie eine ausreichende Sachkunde besitzen.

Bis Ende 2022 gilt altes Recht

Insgesamt führt die neue Regelung zu einer deutlichen Stärkung der Rechtsstellung der zu betreuenden Personen. Damit werden allerdings nicht alle bisherigen Regelungen über Bord geworfen. Auch nach der bisherigen gesetzlichen Regelung gilt der Grundsatz des Vorganges der Autonomie der zu betreuenden Personen. Wesentliche Teile der Neuregelung wurden in der Vergangenheit im Rahmen der praktischen Umsetzung der Betreuungsregeln auch durch die Gerichte bereits vorweggenommen. Da die Neuregelung erst zum 1.1.2023 in Kraft tritt, ist die Kenntnis der bisherigen Regelungen zur Betreuerbestellung aber noch für einen beachtlichen Zeitraum erforderlich.

Hintergrund: Betreuungsrecht und Betreuerbestellung nach bis Ende 2022 geltendem Recht

Wie wird der Betreuer bestellt?

Der Betreuer wird auf Antrag des Betroffenen durch das Gericht bestellt. Der gestellte Antrag begrenzt auch die Reichweite der Betreuung.

  • Auch ein Geschäftsunfähiger kann einen diesbezüglichen Antrag stellen (§ 1896 Abs. 1 Satz 2 BGB).
  • Dritte, insbesondere Kinder für ihre Eltern oder das Krankenhauspersonal, können keinen Antrag stellen.
  • Sie können lediglich ein Amtsverfahren anregen.

Betreuung soll Defizite des Betroffenen ausgleichen. Gleichwohl ist die Selbstverantwortung und die Autonomie des Betroffenen im rechtsgeschäftlichen Bereich zu achten.

Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des volljährigen Betroffenen

Gegen den Willen eines volljährigen Betroffenen kann ein Betreuer nur bestellt werden, wenn der Betroffene eine die Betreuung ablehnende Willensäußerung nicht mehr frei bilden kann (§ 1896 Abs. 1a BGB, BayObLG, Beschluss v. 16.12.1994, 3 Z BR 343/94).

Hierzu müssen auf der Grundlage des Gutachtens eines zumindest in der Psychiatrie erfahrenen Facharztes ausreichende Feststellungen getroffen werden.

Entscheidende Kriterien sind

  • die Einsichtsfähigkeit, d. h. die zutreffende Einschätzung der eigenen Defizite,
  • und die entsprechende Steuerungsfähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln (OLG Hamm, Beschluss v. 5.8.2008, 15 Wx 181/08).

Der Betroffene muss die Fähigkeit besitzen, im Grundsatz die für und gegen eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei sind an die Auffassungsgabe des Betroffenen keine überspannten Anforderungen zu stellen.

Wer kommt als Betreuer in Betracht?

Die Betreuerauswahl steht im pflichtgemäßen Ermessen des Betreuungsrichters. Entscheidend sind Wille und Wohl des Betreuten. Gesetzlicher Regelfall ist die Bestellung einer natürlichen Person zum Betreuer (§ 1897 BGB).

  • Auch eine Mitbetreuung, das heißt eine Betreuung durch mehrere natürliche Personen, ist möglich.
  • Ein Berufsbetreuer ist nur zu bestellen, wenn kein geeigneter ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht (§ 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB).
  • Die Betreuung durch einen Verein oder durch eine Behörde (§ 1900 BGB) ist subsidiär gegenüber allen Formen der Einzelbetreuung.

Rücksichtnahme auf Bindungen des zu Betreuenden

Bei der Bestellung des Betreuers ist auf die verwandtschaftlichen und persönlichen Bindungen des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Eltern, Kinder, Ehegatten und Lebenspartnern kommt deshalb ein Vorrang zu (KG, Beschluss v. 28.4.2009, 1 W 129/07). Dieser ist jedoch kein absoluter (Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1897 Rn. 18.).

Gefahr von Interessenkollisionen beachten

Hinsichtlich ihrer Eignung ist auf die Gefahr von Interessenkollisionen zu achten. Abstrakte Risiken, wie z.B. eine gemeinsame Haushaltsführung und die Erbberechtigung als solche, schließen die Betreuerbestellung grundsätzlich nicht aus. Allerdings ist die Gefahr nicht immer von der Hand zu weisen, dass Erben bei einer teuren Unterbringung des Betroffenen in einem Pflegeheim eine Schmälerung ihrer späteren Erbmasse befürchten ( BayObLG, Urteil v. 2.10.2002, 1 Z BR 68/02).

Wichtig: Nicht zum Betreuer bestellt werden darf eine Person, die zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, in welcher der Volljährige untergebracht ist oder wohnt, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung steht (§ 1897 Abs. 3 BGB).

Vorschlag des Betreuungsbedürftigen zur Auswahl

Ein Vorschlag des Betreuungsbedürftigen zur Auswahl der Person des Betreuers ist grundsätzlich für das Gericht bindend, wenn er dem Wohl des Betreuten nicht zuwider läuft (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Einen diesbezüglichen Willen kann auch eine Person bilden, die nicht mehr geschäftsfähig ist (BayObLG, Urteil v. 18.3.2002, 3 Z BR 22/02).

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Praxishinweis: Betreuungsformen

Es kann eine umfassende Betreuung angeordnet werden. Eine Betreuung kann jedoch auch auf bestimmte Bereiche der Personen- und der Vermögenssorge beschränkt werden.

Beispiele im Bereich der Personensorge sind:

  • die Gesundheitsfürsorge,
  • die Aufenthaltsbestimmung,
  • die Beaufsichtigung,
  • der Umgang,
  • die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr und über die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post des Betreuten (§ 1896 Abs. 4 BGB) sowie
  • die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen.

Einzelne Vermögensangelegenheiten sind

  • die Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten (Vollmachtsüberwachungsbetreuung),
  • Wohnungsangelegenheiten,
  • die Schuldenregulierung einschließlich der Abgabe der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung und § 807 ZPO,
  • die Beitreibung eines Erbscheinsverfahrens und
  • Sozialhilfeanträge.

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Schlagworte zum Thema:  Betreuungsrecht, Reform