Leitsatz (amtlich)

1. Derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten. Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Ampel für den Linksabbieger die Anlage ausfällt.

2. Ein Idealfahrer hätte aus dem mit dem Ampelausfall einhergehenden Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Ein unabwendbares Ereignis liegt deshalb nicht vor.

 

Normenkette

StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 4 S. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. November 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 15. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.536,95 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2021 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin 25 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 75 %. Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zu 20 % und den Beklagten als Gesamtschuldner zu 80 % zur Last.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, welcher sich am 30. Oktober 2020 in L. ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW S. gegen 6:20 Uhr die Kreuzung der S.-Str. /W.-Str. auf der S.-Str. aus B. kommend. Sie wollte an der Kreuzung nach links in die W.-Str. einbiegen. Auf der S.-Str. ist für das Linksabbiegen in die W.-Str. eine eigene Abbiegespur mit "Linksabbieger-Ampel" eingerichtet. Die Klägerin ordnete sich auf der Linksabbiegerspur in Richtung W.-Str. ein und bog dann ab.

In Gegenrichtung fuhr der Beklagte zu 2) mit einem Omnibus des Beklagten zu 1) (bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert) auf der S-Str. aus Richtung L. Innenstadt kommend in Fahrtrichtung B.

Der PKW der Klägerin wurde während des Abbiegevorgangs durch den Omnibus hinten rechts angefahren und beschädigt. Die Ampelanlage war zum Zeitpunkt der Kollision unstreitig ausgefallen, wobei Einzelheiten zwischen den Parteien streitig gewesen sind.

Aus dem Unfall ergab sich für die Klägerin ein Schaden in Höhe von 7.046,19 EUR (Schaden am KFZ 5.250,00 EUR, Sachverständigenkosten 1.105,13 EUR, Kosten der Fahrzeugbergung 139,20 EUR, Abschleppkosten 531,86 EUR, allgemeine Kostenpauschale 20 EUR) den die Klägerin mit der Klage ersetzt verlangt, nachdem die vorgerichtliche Geltendmachung unter Fristsetzung zum 23.11.2020 erfolglos geblieben war.

Das Landgericht hat, nachdem die Klägerin die Klage in Höhe von 490 EUR zuvor zurückgenommen hatte, der Klage nach Anhörung der Klägerin und Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung, Beiziehung der Ermittlungsakte) stattgegeben. Der Beklagte zu 2) habe der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 StVO sowie der aus § 11 Abs. 3 StVO folgenden Pflicht zum umsichtigen Fahren bei unklarer Verkehrslage zuwider gehandelt. Zwar habe er nach Ausfall der Ampelanlage das Vorfahrtsrecht gehabt, aber er habe den Ausfall der Lichtzeichenanlage während der Dauer seiner Rotphase sehen und auf die gefährliche Verkehrslage reagieren müssen. Für die Klägerin sei der Unfall dagegen unabwendbar gewesen. Sie sei noch bei für sie eingreifenden Grünlicht in die Kreuzung eingefahren. Aus der während des Abbiegevorgangs ebenfalls ausgefallenen Fußgängerampel habe die Klägerin nicht ableiten müssen, dass die ganze Ampelanlage ausgefallen sei, denn diese Ampel habe sie vernachlässigen dürfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Gegen das Urteil wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie das Klagziel der Klagabweisung weiter verfolgen. Zur Begründung führen sie Wesentlichen aus, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einer Unabwendbarkeit des Unfalls für die Klägerin ausgegangen. Diese habe sich nicht erneut durch einen Blick auf die Ampel vom grünen Ampellicht überzeugen können, wenn diese zu diesem Zeitpunkt bereits ausgefallen sei. Zudem hätte einem Idealfahrer die ebenfalls ausgefallene Fußgängerampel auffallen müssen.

Die Klägerin tritt der Berufung entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten der geltend gemachte Anspruch aus §§ 7, 11, 17 Abs. 2, Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG nur teilweise, nämlich im tenorierten Umfang, zu. Unter Abwägung der Verursachungsbeiträge ist von...

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