Rn 21

Nach § 241 I 1 ist der Gläubiger berechtigt, eine ›Leistung zu fordern‹ und damit Inhaber eines Anspruchs iSv § 194 (zur Begrifflichkeit Staud/Peters/Jacoby [2014] § 194 Rz 1 ff). Der Gläubiger kann nicht nur die Erfüllung seines Anspruchs in Natur ›verlangen‹, sondern diese auch durchsetzen. Das geschieht va mit Hilfe der Gerichte und Vollstreckungsorgane, aber uU auch durch Akte der Selbsthilfe wie Aufrechnung (s § 387 Rn 1) oder Zurückbehaltung (s § 273 Rn 1); auch der Selbsthilfeverkauf etwa dient letztlich der Rechtsdurchsetzung, nämlich von Kooperationspflichten des Gläubigers. Der Erfüllungsanspruch ist unter den verschiedenen Rechtsbehelfen, welche dem Gläubiger bei einer Pflichtverletzung des Schuldners zur Verfügung stehen, derjenige, mit dem die Pflicht des Schuldners in Natur (sub specie) durchgesetzt werden kann. Basis dieses Erfüllungsanspruchs ist heute § 241 I 1.

 

Rn 22

Die Trennung der auf eine Leistung gerichteten Pflicht vom Rechtsbehelf des Erfüllungsanspruchs ist eine Konsequenz der Neustrukturierung des Leistungsrechts durch die Schuldrechtsreform, welche die Konzeption des einheitlichen Forderungsrechts aufgegeben hat (Stoll JZ 01, 589, 599; Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 466; aA Weller JZ 08, 764 ff; MüKo/Bachmann § 241 Rz 26 Fn 79). Sie wird besonders augenfällig in den ›Pfadfindernormen‹ der §§ 437 Nr 1, 634 Nr 1, die jeweils den Weg zu den (Nach-)Erfüllungsansprüchen weisen. Den Wandel des Erfüllungsanspruchs zum Rechtsbehelf verdeutlichen auch §§ 280 I, III, 281, 283, welche die Konkurrenz dieses Anspruchs zum Schadensersatz behandeln (s § 280 Rn 40 ff). Diese Entwicklung entspr auch der Fließrichtung des Internationalen Einheitsrechts, welches etwa in Art 28, 45 I lit a, 46, 61 I lit a, 62 CISG sowie in Art 7.2.1 ff PICC und III.–3:302 DCFR die Durchsetzung in Natur als Rechtsbehelf einordnet.

 

Rn 23

§ 241 ist auch die Basis des Erfüllungsanspruchs zu einer Unterlassungspflicht, also des Erfüllungsanspruchs aus bestehendem Schuldverhältnis. Die Rspr leitet diesen Rechtsbehelf hingegen aus §§ 280, 249 ab und verlangt, dass die Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauere, respective der entstandene Schaden noch nicht irreparabel sei (BGHZ 178, 63 Rz 17; BGH NZBau 12, 662 Rz 15; BAG ZIP 13, 2025 Rz 41). Das ist jedoch zu umständlich und hat zudem den Nachteil, dass der Unterlassungsanspruch von einem Vertretenmüssen des Schuldners abhängt (BGH NJW 95, 1284, 1285 [BGH 12.01.1995 - III ZR 136/93] stützt den Unterlassungsanspruch auf pVV, ohne Vertretenmüssen anzusprechen). Weitgehend ungeklärt sind jedoch die sonstigen Voraussetzungen des auf § 241 gestützten Unterlassungsanspruchs. Die zu § 1004 I 2 entwickelten Standards (s § 1004 Rn 7 sowie Staud/Gursky [2012] § 1004 Rz 213 ff) bieten hierzu einen guten Ausgangspunkt; sie können freilich in vertraglichen Schuldverhältnissen durch die – ggf richterlich ergänzten – Parteiabreden überspielt werden. Erforderlich ist daher – schon aus Gründen der bestimmten Tenorierung – die Konkretisierbarkeit auf ein bestimmtes zu untersagendes Verhalten, welches die durch die Pflicht geschützten Interessen konkret gefährdet. Zusätzlich wird teilw die Subsidiarität der Naturaldurchsetzung betont, wonach ein Erfüllungsanspruch nur besteht, wenn eine andere effektive Durchsetzung nicht möglich erscheint (Staud/Olzen [2015] § 241 Rz 557).

 

Rn 24

Entgegen verbreiteter Auffassung (etwa NK/Krebs § 241 Rz 47, 68 [nur in Ausnahmefällen]; Jauernig/Mansel § 241 Rz 10; Korch ZfPW 20, 189 [218]) können auch Schutzpflichten grds mit dem Erfüllungsanspruch in Natur durchgesetzt werden (wie hier Stürner JZ 76, 384 ff; Motzer JZ 83, 884, 886; Bachmann/Schirmer, FS Canaris, 371, 401); dies gilt etwa für den aus der vertraglichen Verschwiegenheitspflicht der Bank abzuleitenden Anspruch auf Weitergabe von Kundeninformationen (Kramme Der Konflikt zwischen dem Bankgeheimnis und Refinanzierungsabtretungen, Deutschland – Frankreich – Schweiz 2014 169 f). Der Schutzstandard innerhalb von Schuldverhältnissen bleibt auch hier nicht hinter demjenigen von § 1004 zurück. Der Gläubiger ist nicht auf ein Dulden und Liquidieren beschränkt. Praktisch steht diese Frage jedoch häufig gar nicht zur Entscheidung, weil nach Eintritt des durch Verletzung der Pflicht entstandenen Schadens der Gläubiger vielfach kein Interesse mehr an der Durchsetzung hat. Außerdem kommt eine Durchsetzung von Schutzpflichten in Natur regelmäßig nur dann in Betracht, wenn eine konkrete Gefährdung von Rechtsgütern vorliegt (Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 165). Ein darüber hinaus gehendes besonderes Präventionsinteresse oder gar dessen Beschränkung auf deliktisch geschützte Rechtsgüter (so etwa NK/Krebs § 241 Rz 68) sind nicht erforderlich. Die Berechtigung zur Erzwingung ergibt sich vielmehr bereits aus dem Schutzzweck der verletzten Schutzpflicht; die weiteren Voraussetzungen dienen nur dem Schutz der Freiheit des Schutzpflichtigen.

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