Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsgefahr, Ersatzpflicht, Zeichen, Spurwechsel, Kollision, Verschulden, Linksabbieger, Haftung, Verkehrsteilnehmer, Rechtsfahrgebot, Abbiegen, Feststellung, Fahrzeug, Kreuzungsbereich, unabwendbares Ereignis, bei Betrieb, deklaratorisches Schuldanerkenntnis

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 03.03.2021; Aktenzeichen 33 O 370/18)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 25.03.2021 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 03.03.2021 (Az. 33 O 370/18) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B. I.1. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Das Erstgericht ist zu Unrecht von einer alleinigen Haftung der Beklagtenseite ausgegangen.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts steht dem Kläger kein Anspruch auf Ersatz des nach seiner Behauptung bei dem Verkehrsunfall am 06.06.2017 im Kreuzungsbereich zwischen der N. Straße und der T.-Straße in I. entstandenen Schadens nach §§ 7, 17, 18 StVG, §§ 823, 249 BGB i.V.m. § 115 VVG zu.

Da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind und die Ersatzpflicht weder wegen Vorliegens höherer Gewalt nach § 7 II StVG ausgeschlossen ist, noch ein unabwendbares Ereignis für einen der beiden Fahrzeugführer nach § 17 III StVG vorliegt hängt die Schadensersatzpflicht nach §§ 17 I, 18 III StVG im Verhältnis der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zu dem Kläger von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Jede Partei ist hierbei für ein unfallursächliches Verschulden der Gegenseite beweispflichtig.

Zu Recht rügen die Beklagten mit ihrer Berufung, dass das Landgericht unzulässigerweise davon ausgegangen ist, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs während des Abbiegevorgangs sorgfaltswidrig ihre Fahrspur verlassen habe und in die Fahrspur der Klageseite eingefahren sei, weswegen ein nicht gewollter Spurwechsel im Sinne des § 7 V StVO vorliege, der zur alleinigen Haftung der Beklagtenseite führe (vgl. Seite 5 des EU).

Das Erstgericht legt seiner Entscheidung offensichtlich eine Entscheidung des BGH vom 12. Dezember 2006 (Urteil vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 75/06, juris = NZV 2007, 185) zugrunde, wonach in Fällen "mehrspurigen parallelen Abbiegens" bei Rechtsabbiegern [Anmerkung des Senats: entsprechendes gilt für Linksabbieger] das Recht der freien Fahrstreifenwahl des am weitesten rechts [ bzw. links] eingeordneten Abbiegers und das Rechtsfahrgebot durch das Gebot, die Spur zu halten ersetzt werden (vgl. Senat, Urteil vom 01.12.2017 - 10 U 3025/17 -, Rn. 7, juris)

Diese Entscheidung betrifft allerdings nur den Fall, wo durch Richtungspfeile zwei Abbiegespuren ausdrücklich ausgewiesen sind (vgl. Senat, Urteil vom 10.02.2012 - 10 U 4890/11). Dementsprechend führt der BGH in der zitierten Entscheidung aus: "Dem am weitesten rechts eingeordneten Rechtsabbieger kann jedoch dann nicht stets das Vortrittsrecht zugebilligt werden, wenn paralleles Abbiegen in eine mehrspurige Straße durch Richtungspfeile geboten ist" (BGH, a.a.O. Rn. 6, juris).

Nicht ausreichend ist demnach, dass mit einem mehrspurigen Abbiegen, da erlaubt, zu rechnen ist (vgl. Senat, Urteil vom 10.02.2012, a.a.O.).

Nach § 41 Abs. 3 Nr. 5 Satz 2 StVO schreiben Richtungspfeile auf der Fahrbahn unmittelbar vor einer Kreuzung oder Einmündung die künftige Fahrtrichtung auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung immer (und nur) dann vor, wenn zwischen ihnen Fahrstreifenbegrenzungen (§ 41 Abs. 3 Nr. 3 StVO, Zeichen 295) oder Leitlinien (§ 42 Abs. 6 StVO, Zeichen 340) angebracht sind (BGH, a.a.O, Rn. 3, juris m.w.N.).

In konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des BGH bedeutet dies, dass in Fällen, in denen im Kreuzungsbereich weder Abbiegespuren markiert noch Richtungspfeile (Zeichen 297 zu § 41 III Nr. 5 Satz 2 StVO) angebracht sind, die Weiterfahrt des ordnungsgemäß am weitesten links eingeordneten Abbiegenden in einem anderen als dem bisherigen Fahrstreifen keinen Spurwechsel darstellt (vgl. auch KG Berlin, Urteil vom 28.06.2004 - 12 U 89/03 -, Rn. 9, juris = NZV 2005, 91). Er hat vielmehr die freie Wahl, in welchen Fahrstreifen er sich in die neue Straße einordnet (so auch allg.M. seit BayObLG, DAR, 1974, 304; vgl. KG Berlin, a.a.O.; Senat, Urteil vom 10.02.2012, a.a.O. m.w.N.). Das Vortrittsrecht des am weitesten links eingeordneten Abbiegenden findet seine Grenze jedoch in dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 II StVO, der in den Fällen des parallelen Abbiegens infolge des Gefährdungspotentials für andere Verkehrsteilnehmer vergleichbare Sorgfaltspflichten wie beim Spurwechsel vorsieht (vgl. hierzu auch BGH, a.a.O., ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge