Leitsatz (amtlich)

Das Recht zum Widerruf eines Darlehensvertrages durch den Darlehensnehmer kann verwirkt sein, wenn der Widerruf mehr als zwölf Jahre nach Vertragsschluss ausgesprochen und das widerrufene Darlehen zuvor vom Darlehensnehmer auf eigenen Wunsch nach Ablauf der ersten Zinsfestschreibungsperiode vorzeitig abgelöst wurde.

 

Normenkette

BGB § 488

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 6 O 390/16)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 1.6.2017 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von 19.397,54 EUR zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die geltend gemachten Ansprüche aus § 346 Abs. 1 BGB stehen den Klägern nicht zu, weil sie ihre Widerrufsrechte zum Zeitpunkt ihrer Ausübung bereits verwirkt hatten und sich die drei Darlehensverträge daher durch den Widerruf nicht in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt haben.

Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BGH XI ZR 442/16 v. 14.3.2017, Juris-Rn. 27; XI ZR 501/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 40; XI ZR 564/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 37).

Im vorliegenden Fall ist das Zeitmoment erfüllt. Die für das Zeitmoment maßgebliche Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH XI ZR 455/16 v. 10.10.2017, Juris-Rn. 21 a. E.). Seit dem Abschluss der Darlehensverträge haben die Kläger über 12 Jahre verstreichen lassen, bis sie von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machten.

Das Umstandsmoment ist ebenfalls erfüllt.

Ein Vertrauen darauf, dass der Darlehensnehmer sein Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würde, kann ein Kreditinstitut zwar nicht bereits aus seinem vertragstreuen Verhalten während der Laufzeit des Darlehens ableiten. Ebenso kommt es für das Umstandsmoment nicht darauf an, wie gewichtig der Fehler war, der zur Wirkungslosigkeit der Widerrufsbelehrung führte. Das Risiko, dass ein auch nur geringfügiger Fehler erst nachträglich aufgedeckt wird, trägt nicht der Verbraucher, sondern das Kreditinstitut (vgl. BGH XI ZR 564/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 39, 40).

Ein über die schlichte Vertragstreue hinausgehendes Verhalten der Kläger stellt hingegen der Umstand dar, dass sie die drei Darlehen bereits am 20.6., 10.7. und 2.9.2014 auf eigenen Wunsch vorzeitig, nämlich nach Ablauf der ersten Zinsfestschreibungsperioden, zurückgeführt haben. Nach der Rechtsprechung des BGH (XI ZR 482/15 v. 11.10.2016, Juris-Rn. 31; XI ZR 455/16 v. 10.10.2017, Juris-Rn. 21) hat eine vorzeitige, insbesondere auf Wunsch des Darlehensnehmers erfolgte Vertragsabwicklung im Rahmen des Umstandsmoments Gewicht. Aufgrund ihrer kann das Kreditinstitut in besonderem Maße davon ausgehen, dass auch der Darlehensnehmer das Vertragsverhältnis als endgültig abgeschlossenen Vorgang betrachtet und nicht später seinen Bestand als solchen rückwirkend in Frage stellen will.

Das Vertrauen hierauf konnte umso weiter erstarken, je mehr Zeit die Kläger nach der Ablösung bis zur Erklärung des Widerrufs vergehen ließen. Im vorliegenden Fall handelte es sich um weitere ca. 1 × bis 2 Jahre.

Ein Widerruf kann entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht bereits in der vorzeitigen Kündigung der Darlehensverträge zum Ende der ersten Zinsbindungsfrist gesehen werden. Soweit die Kläger auf den Grundsatz abstellen, für die Ausübung des Widerrufsrecht genüge es, den Vertragsschluss nicht mehr gegen sich gelten lassen zu wollen, kommt ein solcher Wille durch die vorzeitige Erfüllung aber gerade nicht zum Ausdruck. Der Wunsch eines Darlehensnehmers nach vorzeitiger Aufhebung ist nicht auf eine Beseitigung der vertraglichen Bindung gerichtet ist, sondern nur auf eine vorzeitige Erbringung der geschuldeten Leistung (vgl. BGH XI ZR 482/15 v. 11.10.2016, Juris-Rn. 33).

Dass den Klägern das Bestehen der Widerrufsrechte in dem Zeitraum zwischen Ablösung und Widerruf bewusst gewesen wäre, ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung, w...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge