Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Differenzierung zwischen Atemschutzmaske und Mund-Nasen-Bedeckung/OP-Maske. Überwiegende Parallelentscheidung zu LAG Schleswig-Holstein 5 Sa 101/21 v. 14.12.2021

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.

2. Der mit der einschlägigen Tarifnorm verfolgte Zweck einer Erschwerniszulage für das Tragen einer Atemschutzmaske ist darauf ausgerichtet, den Eigenschutz des Beschäftigten vor giftigen Gasen und Staubpartikeln zu erhöhen, die durch Gebäudereinigungsarbeiten ausgelöst werden können. Bei einer locker sitzenden und damit die Atmung wenig belastenden Alltagsmaske, Mund-Nasen-Bedeckung oder OP-Maske handelt es sich deshalb nicht um eine Atemschutzmaske i.S.d. gesetzlichen und tariflichen Arbeitsschutzes.

 

Normenkette

Corona-BekämpfVO SH § 8 Abs. 3; PSA-BV § 1 Abs. 2; Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung § 10 Nr. 1.2 Fassung: 2019-10-31

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Entscheidung vom 30.03.2021; Aktenzeichen 1 Ca 81 d/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 30.03.2021 - 1 Ca 81 d/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen Erschwerniszuschlags.

Der Kläger arbeitet bei der Beklagten seit Ende Februar 2012 als Glas- und Gebäudereiniger. Der tarifliche Stundenlohn betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 14,10 EUR brutto.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31.10.2019 (RTV) Anwendung. Der RTV enthält u.a. folgende Regelung:

"§ 10 Erschwerniszuschläge

Der Anspruch auf nachstehende Zuschläge setzt voraus, dass Beschäftigte die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften einhalten.

Beschäftigte haben für die Zeit, in der sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt werden, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereiches.

1. Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung

(Schutzbekleidung, Atemschutzgerät)

1.1 Arbeiten, bei denen ein vorgeschriebener Schutzanzug (mit PVC o.ä. beschichtet) verwendet wird

a) mit Kapuze, Überschuhen, Handschuhen und Brille 5 %

b) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Filterschutzmaske oder luftunterstützenden Beatmungssystemen 15 %

c) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Frischluftsauggerät, Druckschlauchgerät (Pressluftatmer) oder ein Regenerationsgerät 20 %

d) in Form des Vollschutzes oder des Chemikalienschutzanzuges (Form C) mit Gesichts- und Atemschutz 40 %

1.2 Arbeiten, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird 10 %

2. Arbeiten in/an besonderen Räumen und Einrichtungen

..."

Die Zahlung eines Erschwerniszuschlags für das Tragen einer Atemschutzmaske hatten die Tarifpartner erstmals im RTV vom 22.09.1995 (RTV a.F.) geregelt, und zwar wie folgt:

"§ 9 Erschwerniszuschläge

Der Anspruch auf nachstehende Zuschläge setzt voraus, dass der/die Beschäftigte die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften einhält und die vorgeschriebenen Schutzausrüstungen benutzt.

Der/die Beschäftigte hat für die Zeit, in der er/sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt wird, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereiches.

1. Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung

(Schutzbekleidung, Atemschutzgerät)

1.1 Arbeiten, bei denen ein vorgeschriebener Schutzanzug (mit PVC o.ä. beschichtet) verwendet wird

a) Schutzanzug mit Kapuze, Überschuhen, Handschuhen und Brille 5 %

b) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Filterschutzmaske oder luftunterstützenden Beatmungssystemen 15 %

c) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Frischluftsauggerät, Druckschlauchgerät (Pressluftatmer) oder ein Regenerationsgerät 20 %

d) in Form des Vollschutzes oder des Chemikalienschutzanzuges (Form C) mit Gesichts- und Atemschutz 40 %

1.2 Arbeiten, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird 10 %

2. Arbeiten in besonderen Räumen und Einrichtungen

...

2.8 Arbeiten in Isolier-, Intensiv-, Operationsräumen und sonstigen geschlossenen Krankenstationen wie TBC-Krankenstationen, Isotopenlabors, Bestattungseinrichtungen 10 %

Der Erschwerniszuschlag gemäß § 9 Ziff. 2.8 RTV a.F. entfiel mi...

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