Rz. 57

Die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung kann einen Schadenersatzanspruch der anderen Vertragspartei auslösen, vgl. § 280 Abs. 1. Der Schadensersatzanspruch setzt eine objektive, rechtswidrige Verletzungshandlung voraus. Ein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Eigenbedarfskündigung kann für den Mieter daher entstehen, wenn der Vermieter es versäumt hat, die Ernsthaftigkeit des Nutzungswillens für die Bedarfsperson zu ermitteln (LG Berlin, Beschluss v. 9.11.2023, 66 S 38/23, GE 2024, 44).

Darüber hinaus muss Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) vorliegen. Der beim Mieter eintretende Schaden muss durch die Verletzungshandlung entstanden sein, wobei zwischen der haftungsbegründenden Kausalität (Ursachenzusammenhang zwischen Verhalten des Vermieters und der eingetretenen Rechtsgutverletzung) und der haftungsausfüllenden Kausalität (Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutverletzung und tatsächlich eingetretenem Schaden insbesondere auch der Höhe nach) zu unterscheiden ist. Nach der im Zivilrecht herrschenden Adäquanztheorie muss die Handlung des Schädigers (Vermieters im vorliegenden Fall) im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, den Schaden in der konkreten Form herbeizuführen (vgl. grundlegend BGH, Urteil v. 4.7.1994, II ZR 126/93, NJW 1995, 127). Eine fehlerhafte Eigenbedarfskündigung des Vermieters führt damit nicht ohne Weiteres, quasi automatisch, zu einem Schadensersatzanspruch des Mieters. So besteht in der Praxis häufig die Schwierigkeit in der Beurteilung, ob der behauptete Schaden des Mieters (zumeist Kosten nach Auszug aus der Wohnung) durch eine unberechtigte Kündigung des Vermieters verursacht worden ist (z. B. wollte der Mieter ohnehin aus der Wohnung ausziehen, weil ihm die Miete zu hoch geworden ist) und ob der geltend gemachte Schaden der Höhe nach besteht.

Ob ein Räumungsvergleich den Zurechnungszusammenhang zwischen der Vortäuschung einer (Eigen-)Bedarfssituation und dem später vom Mieter geltend gemachten Schaden unterbricht, ist im Wege der Auslegung des Vergleichs und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls danach zu beurteilen, ob die Parteien durch gegenseitiges Nachgeben auch den Streit darüber beilegen wollten, ob die (Eigen-)Bedarfslage des Vermieters bestand oder nur vorgetäuscht war. Nur dann, wenn mit dem Vergleich auch etwaige Ansprüche des Mieters wegen eines nur vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten, fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang (BGH, Beschluss v. 10.5.2016, VIII ZR 214/15, GE 2016, 781; BGH, Urteil v. 10.6.2015, VIII ZR 99/14, GE 2015, 1026; BGH, Beschluss v. 7.9.2011, VIII ZR 343/10, WuM 2011, 634). An das Vorliegen des Willens des Mieters, auf etwaige Ansprüche gegen den Vermieter wegen eines nur vorgetäuschten (Eigen-)Bedarfs zu verzichten, sind strenge Anforderungen zu stellen; der Verzichtswille muss – auch unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände – unmissverständlich sein (BGH, Beschluss v. 10.5.2016, VIII ZR 214/15, a. a. O.; BGH, Urteil v. 10.6.2015, VIII ZR 99/14, a. a. O.). Derartige Umstände können bei einem Räumungsvergleich etwa darin liegen, dass sich der Vermieter zu einer substanziellen Gegenleistung – wie etwa einer namhaften Abstandszahlung – verpflichtet. Der Anspruch entfällt bei einer Aufhebungsvereinbarung nach Anfrage auf vorzeitige Entlassung aus dem Mietvertrag nur ausnahmsweise, wenn der Mieter unabhängig vom Eigenbedarf zur Räumung entschlossen war (LG Berlin, Beschluss v. 9.11.2023, 66 S 38/23, a. a. O.).

 

Rz. 58

Der Vermieter ist bei vorgetäuschtem Eigenbedarf zum Schadensersatz verpflichtet (BGH, Urteil v. 10.6.2015, VIII ZR 99/14, juris; Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil v. 8.4.2009, VIII ZR 231/07, GE 2009, 710; BGH, Beschluss v. 7.9.2011, VIII ZR 343/10, WuM 2011, 634; ebenso AG Coesfeld, Urteil v. 25.9.2019, 11 C 18/19, WuM 2020, 23). Dieser Schadensersatzanspruch ist unproblematisch dann gegeben, wenn feststeht bzw. unstreitig ist, dass der Eigenbedarfsgrund nicht bestanden hat (BGH, Urteil v.18.5.2005, VIII ZR 368/03, a. a. O.; AG Münster, Urteil v. 17.1.2014, 61 C 568/13, WuM 2014, 274), z. B. weil das volljährige Kind, für das Eigenbedarf geltend gemacht worden ist, gar nicht in die Wohnung einziehen wollte, sondern schon vor der Kündigung geheiratet hat und nach Amerika gezogen ist. Befindet sich in dem Beispielsfall das volljährige Kind nach wie vor am Wohnort des Vermieters, zieht jedoch nach Auszug des Mieters nicht in die Wohnung ein, bleibt die Wohnung frei oder wird an einen Dritten vermietet, behauptet der Vermieter, der Eigenbedarf habe auch noch nach Rechtskraft des Räumungsurteils und Auszug des Mieters längere Zeit bestanden, sei jetzt jedoch aus bestimmten Gründen weggefallen, stellt sich die Frage des Beweises der behaupteten Vortäuschung des Eigenbedarfsgrundes. Grundsätzlich hat der Anspruchsteller, also der Mi...

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