tätlicher Angriff als Kündigungsgrund

Ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten auch außerhalb des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit führt regelmäßig zum Rausschmiss. Einer förmlichen Abmahnung bedarf es in den meisten Fällen nicht.

Der spätere Kläger des arbeitsgerichtlichen Verfahrens war für einige Wochen krankgeschrieben. Als der schwer Erkrankte an einem Samstag gemeinsam mit seinem Vater in einer Autowaschanlage damit beschäftigt war, schwungvoll die Fußmatten des Fahrzeugs an einem Metallgitter auszuklopfen, wurde er zufällig von einem Vorgesetzten beobachtet. Dieser gewann den Eindruck, dass es mit der Erkrankung des Arbeitnehmers nicht weit her sein könne und fertigte zu Beweiszwecken ein paar Fotos an. Als der Vater des Klägers dies bemerkte, versuchte er den Vorgesetzten davon abzubringen, wobei die Einzelheiten des Geschehens streitig sind. Als dem Vorgesetzten die Handykamera herunter fiel, versuchte der Vater ihn am Aufheben zu hindern. Es kam zu einer Rangelei, in deren Verlauf der spätere Kläger den Vorgesetzten nach seiner eigenen Darstellung an der Schulter griff und zu Boden drückte – nach seiner Darstellung in reiner Nothilfeabsicht für seinen Vater. Nach Darstellung des Vorgesetzten spielte sich das Ganze etwas brutaler ab.

Fristlose Kündigung unwirksam

Aufgrund dieser Vorkommnisse kündigte der Arbeitgeber dem Kläger mit Schreiben vom 23.03.2013 und 11.04.2013 fristlos. Hilfsweise erklärte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 23.03.2013 die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August. Das AG gab der Kündigungsschutzklage des Klägers teilweise statt. Die fristlosen Kündigungen sah das AG nicht als gerechtfertigt an, erklärte jedoch die ordentliche Kündigung zum 31.08.2013 für wirksam. Gegen das Urteil des AG legte der Kläger – nicht die Beklagte – Berufung ein.

Körperverletzung ist fast immer Kündigungsgrund

Das LAG stellte zunächst fest, dass Tätlichkeiten gegenüber einem Vorgesetzten grundsätzlich einen hinreichenden Grund für eine ordentliche Kündigung darstellen. Das LAG verwies auf die Rechtsprechung des BAG, wonach ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten oder Arbeitskollegen stets eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers darstellt (BAG, Urteil v. 18.09.2008, 2 AZR 1039/06).

Wahrscheinlich hätte es für eine fristlose Kündigung gereicht

Das LAG hält einen tätlichen Angriff wie im vorliegenden Fall grundsätzlich auch für geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Den Arbeitgeber treffe gegenüber allen Arbeitnehmern eine Fürsorgepflicht dahingehend, dass diese im Kollegenkreis keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Außerdem habe der Arbeitgeber ein berechtigtes eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch eine körperliche Auseinandersetzung beeinträchtigt wird. Ein tätlicher Angriff bleibe selten ohne Auswirkungen auf das Arbeitsklima, auch wenn der Angriff außerhalb der Räumlichkeiten des Arbeitsplatzes stattgefunden habe. Da der beklagte Arbeitgeber aber keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hatte, musste das LAG die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung nicht zu Ende prüfen.

Begründeter Verdacht an Vortäuschung einer Krankheit

Nach Auffassung des LAG reichte der unstreitige Geschehensablauf aus, um jedenfalls eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Das gewaltsame „Zu-Boden-Drücken“ seines Vorgesetzten durch den Kläger stelle eine vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung dar, die auch keinesfalls durch Nothilfe gerechtfertigt gewesen sei. Der Vorgesetzte habe aufgrund des Verhaltens des Klägers berechtigte Zweifel daran gehabt, ob dessen Krankheit nicht vorgetäuscht sei. Aus diesem Grunde habe dieser mit seiner Handykamera zu Recht Fotos angefertigt, um das Verhalten des Klägers zu dokumentieren und so die Berechtigung der Krankschreibung später besser überprüfen zu können. Weder der Vater noch der Sohn hätten den Vorgesetzten daher an seinem Tun hindern dürfen.

Kein unzulässiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte

Das Anfertigen der Fotos durch den Vorgesetzten stellte nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers dar. Dieser Eingriff sei aber gerechtfertigt gewesen, da aufgrund der körperlichen Betätigung des Klägers die Zweifel des Vorgesetzten an dessen Erkrankung berechtigt gewesen seien. Die vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts war für den Kläger nach Auffassung des LAG zumutbar.

Auflösungsinteresse überwiegt Bestandsinteresse

Obwohl es sich um eine verhaltensbedingte Kündigung handelte, war nach Auffassung des LAG eine Abmahnung des Klägersnicht erforderlich. Der körperliche Angriff auf den Vorgesetzten hätte nach Auffassung des LAG Auswirkungen auf die weiteren betrieblichen Abläufe zumindest im Verhältnis zwischen Kläger und seinem Vorgesetzten gehabt und den Betriebsfrieden mit hoher Wahrscheinlichkeit nachhaltig gestört. Insoweit sei es dem Arbeitgeber nicht zumutbar gewesen, über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei in diesem Fall deutlich höher zu bewerten als das Interesse des Klägers an dessen Bestand. Der Kläger habe wissen müssen, dass er seinen Arbeitsplatz riskierte, wenn er gegenüber seinem Vorgesetzten in dieser Weise massiv körperlich vorgehe. Das LAG bestätigte somit im Ergebnis die erstinstanzliche  Entscheidung des Arbeitsgerichts.

(LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 30.01.2014, 5 Sa 433/13)