Warum man von Pferden keine Führung lernt

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf und gibt Tipps für die Praxis. Heute: Warum man von Pferden keine Führung lernt.

Es gibt nur wenige Branchen, in denen man mit einer skurrilen Idee, ein paar Versprechungen und einer Handvoll zufriedener Kunden die Grundlage für ein gedeihliches Auskommen finden kann. Das Personalwesen scheint dazu zu gehören: Ist doch insbesondere die Personalentwicklung nicht gerade arm an Methoden, deren Nutzen niemals unter Beweis gestellt wurde.

Zu diesen Methoden gehört seit einigen Jahren auch das pferdegestützte Coaching, ein Trainingsansatz, bei dem den Kunden versprochen wird, sie könnten durch ein Training mit Pferden etwas Wertvolles über das Führen von Menschen lernen. Hierzu muss man als Führungskraft keineswegs selbst reiten können. Es genügt ein wenig Mut, viel Phantasie und noch mehr Suggestibilität.

Zunächst besteht eine wichtige Aufgabe der Seminarteilnehmer darin, aus einer Reihe von Pferden den passenden Co-Trainer auszuwählen. Dabei wird schon die Wahl des Tiers küchenpsychologisch gedeutet: Wer die kleine Stute wählt, will vielleicht seine Dominanz ausleben, wer sich für den schwarzen Hengst entscheidet, hat wohl etwas zu kompensieren. Anschließend geht es darum, das Pferd mit der Kraft der eigenen Persönlichkeit und Körpersprache zu lenken – zum Beispiel im Kreis herum oder durch einen Parcours.

Doch warum sollten Seminarteilnehmer beim pferdegestützten Coaching etwas über Mitarbeiterführung lernen?

Ganz einfach: Pferde reagieren besonders sensibel auf die Körpersprache des Menschen und spiegeln ihr Erleben direkt und ohne Hintergedanken an den Seminarteilnehmer zurück. Die Führungskraft erfährt dabei ganz ungefiltert, wie sie auf andere Wesen wirkt und wird hierdurch zur Selbstreflexion animiert. Letzteres wiederum soll im Berufsalltag dem Führungsverhalten zugute kommen. Soweit die Theorie. Trotz jahrelanger Anwendung gibt es jedoch bislang keine einzige Studie, die einen solchen Effekt nachweisen könnte und es ist auch höchst unwahrscheinlich, dass sich dies in Zukunft ändern wird.

Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich:

  • Da selbst der einfältigste Mitarbeiter dem Pferd intellektuell überlegen sein dürfte, erleben Mitarbeiter ihre Führungskraft weitaus differenzierter als ein Pferd.
  • Pferde unterscheiden sich hinsichtlich ihres Gemüts. Nervöse Pferde reagieren anders auf den Trainingsteilnehmer als genügsame. Ihre Reaktionen sind daher immer subjektiv.
  • Die Möglichkeiten des Pferds, ein Feedback zu geben, sind weitaus weniger differenziert als die der Mitarbeiter.
  • Das angeblich ungefilterte Feedback des Pferds basiert letztlich nur auf einer Interpretation der tierischen Reaktionen durch den Menschen. Da das Pferd nicht sprechen kann, weiß niemand, inwieweit die Interpretationen richtig sind.
  • Der gesamt Ansatz ignoriert, dass das Verhalten der Führungskraft niemals unbeeinflusst von situativen Gegebenheiten ist. Sie verhält sich gegenüber den Mitarbeitern anders als gegenüber dem Pferd. Die Trainingssituation ermöglicht daher keine Aussagen über das Führungsverhalten oder auch nur das Verhalten im Umgang mit Menschen.
  • Im günstigsten Fall bewirkt das Training eine momentane Einstellungsänderung nach dem Prinzip "In Zukunft will ich mehr auf mein Gegenüber achten". Einstellungsänderungen ziehen aber leider nur in geringem Maße Verhaltensänderungen nach sich.
  • Die Trainingssituation ist extrem weit vom Alltag entfernt. Dies reduziert nachweislich die Wahrscheinlichkeit für den Transfer etwaiger Lernerfahrungen in den Arbeitsalltag.

Wer als Führungskraft wissen will, wie er oder sie auf die eigenen Mitarbeiter wirkt, sollte den einfachsten Weg gehen und ein anonymes Feedback einholen. Für das Pferdetraining sprechen allein der Unterhaltungswert und die Möglichkeit, sich weiterhin vor einem aussagekräftigen, möglicherweise unangenehmen Feedback der Mitarbeiter zu drücken. Dies mag für manche Führungskraft ja schon Grund genug sein, sich für das Pferd und gegen die eigenen Mitarbeiter zu entscheiden.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.