Unterfälle des Übermaßverbots sind aber das Gebot fairer Kampfführung und das Verbot unlauterer Kampfmittel.[1] Dabei sollte das Gebot der fairen Kampfführung in seiner Reichweite nicht überschätzt werden. Die Tarifvertragsparteien entscheiden im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich über das Ob und das Wie eines Arbeitskampfes. Dabei mag manche taktische Maßnahme den Kampfgegner verärgern. Sie soll ihm ja auch Nachteile zufügen. Es soll ein Druck entstehen, der ihn dazu veranlasst, sich in den Verhandlungen nachgiebiger zu zeigen. Dies ist ein funktionsgemäßer Teil der von der Rechtsordnung gewährleisteten Kampffreiheit. Er kann nicht allein mit Hilfe der allgemeinen Maßstäbe von Treu und Glauben begrenzt werden.

 
Praxis-Beispiel

Arbeitskampftaktik erlaubt

Die kampfführende Gewerkschaft kann das Ende des Arbeitskampfes für Freitag vor Pfingsten festlegen und verlautbaren. Nach Arbeitsleistung der betroffenen Arbeitnehmer am Dienstag nach Pfingsten kann sie erneut für die Zeit ab Mittwoch zum Streik aufrufen. Das ist für den Arbeitgeber ärgerlich. Er muss bei nur einem Arbeitstag für zwei Arbeitstage Entgelt zahlen. Nach dem Ende des Arbeitskampfes vor Pfingsten ist die Arbeit am Pfingstmontag "infolge eines gesetzlichen Feiertags" ausgefallen[2] und nicht wegen des Arbeitskampfes.[3] Rechtswidrig ist ein solches, den Buchstaben des Gesetzes taktisch verwertendes Verhalten nicht.[4]

Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Übermaßverbot belegt jedoch, dass auch der durch Art. 9 Abs. 3 GG privilegierte gewerkschaftliche Arbeitskampf nicht in einem rechtsfreien Raum stattfindet. Die äußeren Schranken, die z. B. die allgemeinen Strafgesetze und die Rechte Dritter jedem Handeln in der Gesellschaft auferlegen, gelten auch hier. Sie sind lediglich dort, wo es Auslegungs- und Bewertungsspielräume gibt, im Lichte von Art. 9 Abs. 3 GG auszulegen. Dies kann und wird vielfach zu einer Erweiterung der Handlungsspielräume führen.

 
Praxis-Beispiel

Rauer Ton erlaubt

Es ist grundsätzlich unzulässig und rechtswidrig, im Zuge der Arbeitskampfpropaganda den Gegner schwerwiegend und nachhaltig zu diskreditieren. Ein der Kampfsituation angemessener und für sie typischer "rauer Ton" muss aber hingenommen werden. Auch situationsbedingte Überspitzungen können grundsätzlich weder Schadensersatzansprüche noch Kündigungen rechtfertigen.[5]

Eine gewisse Erweiterung des Handlungsspielraums hat auch die Rechtsprechung des BAG mit seiner – bisher einmaligen – Billigung einer kurzen Flashmob-Aktion im Einzelhandel gebracht.[6] Eine solche Druckausübung ohne Arbeitsniederlegung wurde in einem Einzelfall als von der Kampfmittelfreiheit der kampfführenden Gewerkschaft gedeckte und noch verhältnismäßige Kampfmaßnahme angesehen.

Eine erhebliche Rolle spielt die Missbrauchskontrolle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Streikposten. Ein Streik muss erfolglos bleiben, wenn sich nicht ein großer Teil der im bestreikten Betrieb Beschäftigten an ihm beteiligt. Traditionell halten sich deshalb vor den Werks- oder Geschäftseingängen am Kampf beteiligte Arbeitnehmer oder Gewerkschaftsmitarbeiter auf. Sie versuchen, Arbeitswillige davon zu überzeugen, dass es richtig ist, sich für die Kampfziele durch Beteiligung am Streik einzusetzen. Dies ist durch Art. 9 Abs. 3 GG als überkommenes koalitionsgemäßes Verhalten geschützt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Streikposten gewerkschaftlich organisiert ist oder nicht. Ebenso wie sich jeder Beschäftigte am Streik beteiligen kann, kann er dies auch in der intensivierten Form des Streikpostenstehens tun. Dies ergibt sich auch aus internationalem Recht. Ein "Digest of decisions and principles of the freedom of Association Committe" aus dem Jahre 2006 ist auf der Grundlage des ratifizierten Übereinkommens Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts aus dem Jahre 1948 entstanden.[7] Er beschreibt die besondere Problematik dieses überkommenen Phänomens, wenn der Kreis des erlaubten Verhaltens als "firmly but peaceably" beschrieben wird:

Auf der einen Seite ist es fraglos erlaubt, wenn sich Streikposten vor dem bestreikten Betrieb aufhalten, um Arbeitswillige dazu zu überreden, sich der kollektiven Arbeitsniederlegung anzuschließen. Eröffnen die örtlichen Gegebenheiten keine realistische Möglichkeit, Arbeitswillige im Zuge eines Arbeitskampfes zu erreichen, weil kein öffentliches Gelände hierfür zur Verfügung steht, kann hierfür auch ein dem Hausrecht des Arbeitgebers unterstehender Betriebsparkplatz gegen dessen Willen in angemessenem Umfang genutzt werden.

 
Praxis-Beispiel

Streikposten

Vor den Gebäuden eines großen online-Versandhandelsunternehmens befindet sich ein 28.000 m² großer, von diesem gepachteter Firmenparkplatz. Vor dessen Befahren können realistischerweise Arbeitswillige nicht angesprochen werden. Ihn dürfen Streikposten im Rahmen des Notwendigen, was Zeit und Dauer angeht, zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben betreten.[8]

Di...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge