Unzulässige Befristung mit Sachgrund der Vertretung

Weiß ein Arbeitgeber, dass ein befristet eingestellter Arbeitnehmer während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird, kann er die Befristung nicht mit dem Sachgrund der Vertretung rechtfertigen. Das hat das LAG Niedersachsen entschieden.

Arbeitgeber haben in gewissem Rahmen die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zu befristen, um so flexibler bei der Personalplanung zu sein. Ein anerkannter Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags ist gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmenden beschäftigt wird. Um die Voraussetzung für den Sachgrund der Vertretung zu erfüllen, muss der Arbeitgeber mit der Rückkehr des eigentlichen Arbeitnehmers rechnen, folglich nur einen zeitweiligen Bedarf haben. Nötig ist auch ein Kausalzusammenhang zwischen Ausfall und Einstellung: der Arbeitgeber muss die Vertretungskraft gerade einstellen, um mit ihr den zeitweiligen Ausfall zu kompensieren. Daran fehlte es im vorliegenden Fall für das LAG Niedersachsen. Mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis als unbefristet geschlossen gilt.

Der Fall: Befristeter Vertrag zur Vertretung

Der Arbeitgeber beschäftigt den Arbeitnehmer im konkreten Fall seit Mitte Oktober 2020 als Paketzusteller. Sein Arbeitsvertrag war zunächst bis Mitte November 2020 befristet. In der Folge wurde das Arbeitsverhältnis dreimal aufgrund weiterer befristeter Verträge verlängert, zuletzt bis Ende April 2022. Kurz vor Ablauf der Befristung, am 23. April 2022, informierte er seinen Niederlassungsleiter per WhatsApp darüber, dass er "mit einem Paket gestürzt sei, sein Bauch immer dicker geworden sei, er ins Krankenhaus gebracht und ihm schwindlig gewesen" sei. Ferner teilte er mit, einen "Nabelbruch zu haben und die Auskunft erhalten zu haben, dass er vielleicht noch am selben Tag operiert werde".

Arbeitsunfähigkeit und neue Befristung

Die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datierte vom 25. April 2022. Darin war der Paketzusteller "voraussichtlich bis zum 8. Mai 2022 krankgeschrieben". Die weitere Arbeitsunfähigkeit des Mannes wurde durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Mai 2022 dokumentiert. Die Freundin des Arbeitnehmers übermittelte die AU-Bescheinigung an den Arbeitgeber. Im Gegenzug leitete dieser dem Arbeitnehmer über sie einen neuen befristeten Vertrag, datiert vom 27.April 2022 weiter, den dieser unterschrieb.  Dieser sah eine weitere Tätigkeit als Paketzusteller vor, befristet auf die Zeit vom 1. Mai bis 28. Mai 2022. Als Sachgrund für die Befristung wurde die Vertretung wegen vorübergehender urlaubsbedingter Abwesenheit dreier Mitarbeitender genannt.

Arbeitnehmer verlangt Weiterbeschäftigung über Befristung hinaus

Der Arbeitnehmer klagte auf die Entfristung seines Arbeitsverhältnisses, da von vorneherein festgestanden habe, dass er die genannten Mitarbeiter während deren Urlaubszeiten nicht habe vertreten können. Er gab an, den Arbeitgeber nicht nur per Whatsapp, sondern auch telefonisch über seinen Arbeitsunfall mit einem 30 Kg schweren Paket informiert zu haben. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus habe er darauf hingewiesen, dass er für längere Zeit wegen des diagnostizierten Nabelbruchs ausfallen werde und die behandelnden Ärzte von einem Arbeitsunfall ausgingen. Zusätzlich habe er dem Stellvertreter des Niederlassungsleiters mitgeteilt, der Hausarzt habe ihn informiert, dass er nach der Operation für mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig sein werde. Der Arbeitgeber bestritt, Kenntnis darüber gehabt zu haben, dass der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des befristeten Vertrags ausfallen würde.

LAG Niedersachsen: Rechtswidrige Befristung - Arbeitsverhältnis besteht weiter

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gab dem Arbeitnehmer recht. Es entschied, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit der Befristung, also zum 28. Mai 2022, beendet wurde. Das Gericht wies darauf hin, dass eine sachgrundlose Befristung gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG ausgeschlossen war, da der Vertrag dann bereits zum fünften Mal befristet worden wäre.

Ein sachlicher Grund, der die Befristung rechtfertigte, lag aus Sicht des Gerichts nicht vor. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG sei die Befristung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers möglich – hier aber nicht einschlägig. Der Arbeitgeber könne sich auf diesen Sachgrund nicht berufen, wenn er sicher wisse, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer aufgrund Erkrankung oder sonstiger Umstände keinen einzigen Tag die vertraglich vorgesehene Vertretungsaufgabe wahrnehmen könne.

Befristung wegen Vertretung lag nicht vor

Das Gericht wies darauf hin, dass Teil des Sachgrundes eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters sei. Der Sachgrund der Vertretung setze weiter einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenden und der Einstellung des Vertreters voraus. 

Laut Gericht müsse sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade für den vorübergehenden Beschäftigungsbedarf eingestellt worden ist, der durch den zeitweiligen Ausfall eines Mitarbeiters entstanden ist.

Das sei gerade nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber - wie vorliegend - bei Vertragsschluss wisse, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des befristeten Vertrags nicht arbeiten könne. Diese Kenntnis des Arbeitgebers nahm das Gericht aufgrund der unstreitigen Whatsapp-Nachricht an. Die geschilderten Umstände ließen keine andere Auslegung zu, als dass der Arbeitnehmer länger ausfalle.


Hinweis: LAG Niedersachsen, Urteil vom 11. Mai 2023, Az: 5 Sa 27/23; Vorinstanz: ArbG Oldenburg, Urteil vom 23. November 2022, Az: 3 Ca 81/22


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