Entscheidungsstichwort (Thema)

Öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. § 154 Abs. 2 SGB IX. Durchführung des Vorstellungsgesprächs als Video-Interview als ordnungsgemäße Erfüllung der Pflicht aus § 165 Satz 3 SGB IX

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es bleibt offen, ob ein Erzbistum als öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. § 154 Abs. 2 SGB IX anzusehen ist.

2. Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Pflicht aus § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich auch dadurch, dass er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, das in Form eines Video-Interviews durchgeführt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn alle Vorstellungsgespräche in dieser Form durchgeführt werden, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt, der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist und keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, die die Durchführung des Interviews erschweren könnten.

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus der Entstehungsgeschichte des § 154 S. 2 SGB IX ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der öffentliche Dienst nur im Hinblick auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten anders behandelt werden soll als private Unternehmen. Die Kirchen üben aber, auch wenn sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfasst sind, keine Staatsgewalt aus.

 

Normenkette

SGB IX § 165; AGG § 15; SGB IX § 154 Abs. 2; AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, §§ 13, 22

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 06.12.2021; Aktenzeichen 2 Ca 765/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 06.12.2021 - 2 Ca 765/21 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG.

Der Kläger bewarb sich auf eine Stelle als Seelsorger in einer Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige, die das beklagte B ausgeschrieben hatte. In der Ausschreibung heißt es unter anderem: "Es handelt sich um eine Teilzeitstelle mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,5 Stunden. Eine Kombination mit der Stelle in der Justizvollzugsanstalt in A ist in Vollzeit vorstellbar."

Im Anschreiben seiner Bewerbung wies der Kläger darauf hin, dass er schwerbehindert sei. Das beklagte B lud den Kläger mit der E-Mail vom 16.06.2021 zu einem Vorstellungsgespräch in Form eines Video-Interviews ein. Nachdem der Kläger mitteilte, er könne diesen Termin nicht wahrnehmen, erkundigte sich das beklagte B, ob ein anderes Zeitfenster am 30.06.2021 in Betracht komme. Der Kläger erklärte, am 30.06.2021 stehe er nach 16.00 Uhr zur Verfügung. Daraufhin lud das beklagte B den Kläger am 20.06.2021 zu einem Vorstellungsgespräch per Video-Interview am 30.06.2021 um 16.00 Uhr ein. Der Kläger bestätigte den Termin am gleichen Tag; das Vorstellungsgespräch fand wie vorgesehen am 30.06.2021 statt. Der Kläger erhielt eine Absage.

Er legte er per E-Mail vom 08.07.2021 eine Beschwerde nach dem AGG bei der zuständigen Stelle des B ein. Mit der E-Mail vom 03.08.2021 wurde der Kläger um Begründung seiner Beschwerde gebeten. Noch am gleichen Tag begründete der Kläger seine Beschwerde per E-Mail wie folgt: "Es liegt eine Schwerbehinderung vor. Schwerbehinderte sind bei gleicher Qualifikation vorrangig einzustellen." In der E-Mail vom 10.08.2021 teilte das beklagte B mit, seine Beschwerde habe keinen Erfolg; es gebe keinen Einstellungsanspruch für Schwerbehinderte, das beklagte B habe sich für den am besten geeigneten Bewerber entschieden. Mit seiner Klage, die am 26.08.2021 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist, hat der Kläger die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 8.000,00 Euro gefordert.

In der Klageschrift hat der Kläger die Auffassung vertreten, das beklagte B habe nachzuweisen, dass es die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingehalten habe und alle in das Bewerbungsverfahren einbezogenen Personen eine Schulung nach den Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durchliefen. Das beklagte B habe auch nachzuweisen, dass ein ordnungsgemäßes Beschwerdeverfahren durchgeführt worden sei. Da das beklagte B diese Nachweise schuldig geblieben sei, resultiere "nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte" eine Beweislastumkehr zu Lasten des beklagten B, das zu beweisen habe, dass keine Benachteiligung aufgrund von Behinderung und Religion stattgefunden habe.

Nachdem für den Kläger im Gütetermin vom 13.10.2021 trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschienen war, hat das Arbeitsgericht mit dem Versäumnisurteil vom gleichen Tag die Klage abzuweisen. Das Versäumnisurteil ist dem Kläger am 15.10.2021 zugestellt worden. Der Kläger hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.10.2021 Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen lassen; dieser Schriftsatz ist am gleichen Tag bei dem Arbeitsgericht eingegangen. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 01.12.2021 ließ die Beklagte mitteilen, eine vergleichsweise Beilegun...

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