Wirksamer Zugang einer Kündigung bei Einwurf in den Briefkasten
Ein Arbeitgeber wollte einem Arbeitnehmer außerordentlich fristlos kündigen. Er schickte einen Mitarbeiter mit dem Kündigungsschreiben zur Wohnung des Arbeitnehmers. Dort warf der Mitarbeiter die Kündigung am 27.1. (einem Freitag) um 13.25 Uhr in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers ein. Der Arbeitnehmer erhob Klage gegen die Kündigung. Er gab an, dass er die Kündigung erst am Montag, den 30.1., in seinem Hausbriefkasten vorgefunden habe, sodass ihm diese nicht am 27.1., sondern frühestens am Folgetag zugegangen sei. Seine Kündigungsschutzklage, die das Arbeitsgericht am 20.2. erreicht hat, sei noch innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG und daher nicht zu spät erhoben worden.
Zugang der Kündigung bei Einwurf in Hausbriefkasten
Während das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen haben, hob das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Berufungsurteil auf und wies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Nach Auffassung des BAG hätte das Landesarbeitsgericht mit der gegebenen Begründung den Kündigungsschutzantrag nicht abweisen dürfen.
Das BAG führt hierzu aus, dass nach ständiger BAG-Rechtsprechung eine Kündigung zugeht, wenn sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.
Maßgeblich für Zugang der Kündigung ist die Verkehrsanschauung
Bei einem Einwurf in einen Briefkasten ist der Zugang dann bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme des Schreibens zu rechnen ist.
Dabei ist jedoch nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern es ist eine generalisierende Betrachtung geboten. Die Feststellung des Bestehens und des Inhalts einer Verkehrsanschauung sei, so das BAG, eine auf tatsächlichem Gebiet liegende Frage, deren Beantwortung nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliege. Das BAG könne somit nur überprüfen, ob das Berufungsgericht bei seiner Würdigung einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen habe.
Verkehrsanschauung kann sich wandeln und regional unterschiedlich sein
Hierbei könne das Landesarbeitsgericht zur Bestimmung des Zugangszeitpunkts auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung feststellen, z. B. dass aufgrund geänderter Lebensumstände eine spätere Leerung des Hausbriefkastens, etwa mehrere Stunden nach dem Einwurf oder bezogen auf eine "feste" Uhrzeit am Tag, denkbar sei.
Zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung muss nun das Landesarbeitsgericht noch Feststellungen treffen. Die bislang in Bezug genommenen "Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden" eines "erheblichen Teils der Bevölkerung" lassen nach Auffassung des BAG für sich allein keinen Rückschluss auf eine Verkehrsanschauung hinsichtlich der Leerung eines Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers zu. In die Erwägungen müssen die vermehrte Anzahl von Beschäftigungsverhältnissen mit flexiblen Arbeitszeiten, die in Homeoffice Beschäftigten bzw. Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten einbezogen werden sowie der Umstand, dass einen große Anzahl von Berufstätigen nicht kernerwerbstätig seien. Auch hatte das Landesarbeitsgericht nicht bedacht, dass der Kläger, an dessen Wohnanschrift die Zustellung durchgeführt wurde, nicht in Deutschland, sondern in Frankreich wohnt.
(BAG, Urteil v. 22.8.2019, 2 AZR 111/19)
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