Leitsatz
1. Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient.
2. Bei der Förderung der Volksbildung i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO hat sich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken.
3. Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.
4. Bei der Prüfung der Ausschließlichkeit der steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweckverfolgung und der tatsächlichen Geschäftsführung nach §§ 56, 63 AO kann zwischen der Körperschaft als "Träger" eines "Netzwerks" und den Tätigkeiten des unter dem gleichen Namen auftretenden "Netzwerks" zu unterscheiden sein. Dabei sind alle Umstände einschließlich des Internetauftritts der Körperschaft zu berücksichtigen.
5. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung ist nicht frei widerrufbar. Auf einen Verzicht des beigetretenen BMF kommt es nicht an.
Normenkette
§ 52 Abs. 2 Nr. 7, Nr. 8 und Nr. 24, § 56, § 63 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger verfolgte nach seiner Satzung folgende Ziele: "Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung. Der Verein fördert die Völkerverständigung und den Frieden." Der Kläger ist nach seiner Satzung zudem "in Trägerschaft des Netzwerks" A tätig.
Dem Kläger ging es bei seinen Aktionen im Schwerpunkt nicht um die Vermittlung von Bildungsinhalten zu diesen Themen, sondern um eine öffentlichkeitswirksame Darstellung und Durchsetzung eigener Vorstellungen zu tagespolitischen Themen und damit um die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und auf die öffentliche Meinung. Beispielhaft seien hier genannt:
- Kampagne "Sparpaket/Finanztransaktionssteuer/Umverteilen"
- Programm "Verteilen statt kürzen"
- Entwicklung und Werbung für ein alternatives Übernahmemodell zugunsten eines finanziell bedrohten Unternehmens der Textilbranche in Form einer Genossenschaft
- Verfolgung der Themenschwerpunkte "Steuerflucht bekämpfen", "kein Freibrief für Steuerbürger"
- Erhebung politischer Forderungen zur "Steuerflucht" während der kritischen Phase eines geplanten Steuerabkommens mit der Schweiz
- Kampagne "Demokratie statt Stuttgart 21"
- Plädoyer für eine 30‐Stunden‐Woche für alle bei vollem Lohnausgleich für untere und mittlere Einkommen
- Thema "bedingungsloses Grundeinkommen" oder "feministische Ökonomie".
Der Kläger entwickelte hier Gegenvorstellungen, erhob konkrete steuerpolitische Forderungen zur Einnahmeverbesserung des Gesamtstaats, übte Kritik an den Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung, wandte sich mit einem Online-Appell an die Bundeskanzlerin und einen Bundesminister, veranstaltete Unterschriftensammlungen und forderte "die Politik" auf, Beteiligungsgesellschaften wie Investmentfonds nicht mehr steuerlich zu begünstigen und wollte "Maßnahmen" der demokratischen Kontrolle der Öffentlichkeit unterwerfen.
Das FA versagte dem Kläger die Gemeinnützigkeit. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage statt (Hessisches FG, Urteil vom 10.11.2016, 4 K 179/16, Haufe-Index 10860675).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an dieses zurück. Entgegen dem Urteil des FG berechtigt die Förderung der von der Volksbildung mitumfassten politischen Bildung nicht dazu, zu konkreten Handlungen aufzurufen und Forderungen zu tagespolitischen Fragen zu erheben. Es ist nicht möglich, der eigenen, im Rahmen der steuerbegünstigten politischen Bildung entwickelten Auffassung in beliebig anmutenden Politikbereichen zusätzlich auch noch "Gehör zu verschaffen", um diese im Rahmen der Gemeinnützigkeit nach § 52 AO durchzusetzen. In einem zweiten Rechtsgang ist nunmehr zu prüfen, ob zwischen dem Kläger als "Träger" eines "Netzwerks" und den Tätigkeiten des unter dem gleichen Namen auftretenden "Netzwerks", die ihm u.U. nicht zuzurechnen sind, zu unterscheiden ist.
Hinweis
1. Das nach einer Pressemitteilung des BFH (Nr. 9/2019) zulasten des Attac-Trägervereins ergangene Urteil des BFH hat bereits unmittelbar bei seiner Veröffentlichung ungewöhnliche Aufmerksamkeit gefunden und wird die Fachwelt und vielleicht auch den Gesetzgeber noch weiter beschäftigen.
2. Im Kern geht es um die Frage, ob und in welchem Umfang gemeinnützige Körperschaften "Politik" betreiben dürfen. Damit verbunden ist die Frage, wie sich der gesetzlich nicht umschriebene Begriff der Politik definieren lässt.
Begrifflich führt das Urteil des BFH zu einer ge...