Verfassungsmäßigkeit von Aussetzungszinsen

Für den Verzinsungszeitraum bis Dezember 2011 ist die Höhe der Aussetzungszinsen nicht verfassungswidrig (Anschluss an das Urteil v. 1.7.2014, IX R 31/13).

Hintergrund

Der BFH hatte zu entscheiden, ob der gesetzliche Zinssatz für Aussetzungszinsen von 0,5 %/Monat bzw. 6%/Jahr (§§ 237, 238 AO) für den Zeitraum bis Dezember 2011 angesichts des niedrigen Marktzinsniveaus noch verfassungsgemäß ist.

Die betroffenen Eheleute legten gegen den ESt-Bescheid 2006 vom April 2008 Einspruch ein und beantragten für den festgesetzten Betrag die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das FA gewährte die AdV mit Bescheid vom Mai 2008 für die Dauer des Einspruchsverfahrens. Mit Einspruchsentscheidung vom November 2011 wurde der Einspruch zurückgewiesen. Sodann setzte das FA Aussetzungszinsen in gesetzlicher Höhe von 0,5 % je angefangenen Monat für die Zeit vom 3.6.2008 (Fälligkeit) bis zum 5.12.2011 (ein Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) fest (rund 108.202 EUR).

Die Eheleute klagten gegen die Festsetzung der Aussetzungszinsen und machten geltend, die Zinsfestsetzung sei wegen nicht marktgerechter Zinsen verfassungswidrig.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision zurück. Er betont, der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht sei es, den Nutzungsvorteil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht "an sich" dem Steuergläubiger zusteht. Im Übrigen verweist der BFH pauschal auf das Urteil vom 1.7.2014, IX R 31/13 (BStBl II 2014, 925), das den Verzinsungszeitraum bis März 2011 betrifft. Der BFH hat dort dargelegt, dass Voraussetzung für eine Vorlage an das BVerfG die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Regelung ist (Art. 100 Abs. 1 GG). Bloße Zweifel an der Verfassungswidrigkeit genügen nicht. Zweifel hat der BFH in dieser Entscheidung zwar nicht eingeräumt. Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit hat er jedoch klar verneint.

Auch für den Entscheidungsfall, d.h. für den Verzinsungszeitraum bis Dezember 2011, verneint der BFH eine entsprechende Überzeugung hinsichtlich der gesetzlichen Zinshöhe. Er ist der Auffassung, dass sich auch für diesen Zeitraum die das Zinsniveau bestimmenden Verhältnisse nicht in einer Weise geändert haben, dass eine Vorlage an das BVerfG in Betracht käme.

Hinweis

Ebenso wie in dem erwähnten Parallelfall (Urteil v. 1.7.2014, IX R 31/13, BStBl II 2014, 925), das den Zeitraum bis März 2011 betrifft, hat der BFH die gesetzliche Verzinsung noch einmal bis Dezember 2011 akzeptiert. Mit der weiteren Absenkung des Zinsniveaus dürfte allerdings für spätere Zeiträume eine Vorlage an das BVerfG immer näher rücken. Entsprechende Fälle sollten daher in Erwartung einer großzügigeren Behandlung offen gehalten werden.

Der BFH ergänzt, dass im vorliegenden Verfahren nicht über einen Erlass aus Billigkeitsgründen zu entscheiden war. Die Entscheidung über die Festsetzung der Zinsen und den Erlass durch Zinsverzicht sind jeweils selbständige Steuerverwaltungsakte, die voneinander unabhängig sind. Die Ablehnung des Zinsverzichts muss deshalb selbständig angefochten werden und ist in einem gesonderten Verfahren zu klären (sog. Zweigleisigkeit des Verfahrens).

BFH, Urteil v. 14.4.2015, IX R 5/14, veröffentlicht am 4.11.2015

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