Innergemeinschaftliches Verbringen in deutsches Konsignationslager
Sachverhalt:
Die in Großbritannien ansässige Klägerin beliefert die in Deutschland ansässige A-AG mit in Großbritannien hergestellten PKW-Zierblenden. Im Rahmen von Just-in-Time-Lieferverträgen versandte die Klägerin ihre Ware für die A-AG in ein von dieser ausgewähltes Warenlager in Deutschland. Dort wurde die Ware für die A-AG nach deren Vorgaben EDV-technisch erfasst und umgepackt. Je nach Bedarf wurde die Ware anschließend direkt vom Automobilproduzenten in die nahe Produktion übernommen. Der Klägerin als Lieferant gewährleistet die Lieferung des prognostizierten Bedarfs der A-AG ohne Anspruch auf Abnahme einer bestimmten Menge.
Die Klägerin erklärte insoweit steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen von Großbritannien nach Deutschland (ohne steuerliche Registrierung in Deutschland). Das Finanzamt dagegen ging von innerdeutschen umsatzsteuerpflichtigen Lieferungen vom deutschen Warenlager aus.
Entscheidung:
Nach Auffassung des Niedersächsischen FG hat das Finanzamt die Entnahme der Waren aus dem Lager zu Unrecht als im Inland steuerbare und steuerpflichtige Warenlieferungen beurteilt.
Die nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL als Lieferung geltende "Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand faktisch zu verfügen" setzt nicht notwendig den zivilrechtlichen Eigentumsübergang an dem Gegenstand voraus. Nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG gilt die Lieferung im Fall der Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung "an den Abnehmer" oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Dies setzt voraus, dass der Abnehmer bei Beginn der Versendung oder Beförderung feststehen muss (BFH, Urteil v. 30.7.2008, XI R 67/07, BStBl 2009 II S. 552). Anderenfalls liegt ein innergemeinschaftliches Verbringen durch den Unternehmer "zu seiner Verfügung" vor (§ 3 Abs. 1 a UStG).
Ein Umsatzgeschäft setzt ein bereits konkretisiertes schuldrechtliches Rechtsverhältnis (i. d. R. einen Kaufvertrag) voraus, aufgrund dessen der Lieferer einem zumindest bestimmbaren Abnehmer die Verfügungsmacht zu verschaffen hat. Streitig ist in diesem Zusammenhang, ob der aus dem schuldrechtlichen Rechtsverhältnis ableitbare Wille, dies tut zu wollen, entscheidend und ausreichend ist oder ob es zusätzlich – wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt – noch zu einer "tatsächlichen" Verschaffung der Verfügungsmacht kommen muss.
Der Begriff des Konsignationslagers ist weder im deutschen Umsatzsteuergesetz noch im Unionsrecht definiert. Daher richtet sich die Bestimmung des Lieferorts bei Konsignationslagern nach den allgemeinen Grundsätzen. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung bei der Einlagerung in ein Konsignationslager hängt damit von der konkreten Ausgestaltung des Konsignationslagervertrags ab: Die Parteien können regeln:
- dass erst bei Abruf der Ware aus dem Lager durch den Abnehmer(also bei Entnahme) ein Kaufvertrag über die entnommene Ware bei gleichzeitiger Lieferung durch den Lieferanten und Erwerb durch den Abnehmer zustande kommt.
- einen unbedingten Kaufvertrag über den Warenbestand des Lagers mit gleichzeitiger Eigentumsvorbehaltsabrede und Stundung des Kaufpreises bezogen auf den Zeitpunkt der Entnahmen.
Welche Gestaltungsalternative vorliegt, ist durch Auslegung des zu Grunde liegenden Lagervertrags zu ermitteln. Im Streitfall ist das Finanzgericht unter Berücksichtigung und Auslegung der Vertragsunterlagen zu der Überzeugung gelangt, dass jeder einzelnen Warenlieferung der Klägerin bei Lieferbeginn bereits ein unbedingter Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der A-AG zugrunde lag. Dafür spricht u.a., dass
- die von der Klägerin gelieferten Autoteile speziell für die A-AG gefertigt wurden,
- die A-AG eine Etikettierung der Autoteile im Warenlager vorgibt und die Teile im Warenwirtschaftssystem der A-AG zu erfassen sind, damit ein Abruf wie aus einem eigenen Lager erfolgen kann
- für die von der Klägerin getragenen Kosten der Lagerung und Versicherung über den Verkaufspreis letztlich die A-AG Kostenträger ist.
Praxishinweis:
Die Auffassung des Finanzgerichts widerspricht der Verwaltungsauffassung in Abschn. 3.12 Abs. 3 Satz 7 und Abschn. 1a.2 Abs. 6 UStAE. Bisher wurde jedoch gegen das Urteil noch keine Revision beim BFH eingelegt.
Niedersächsisches FG, Urteil v. 18.6.2015, 5 K 335/14, Haufe Index 8515759
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