Die Zwangsläufigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung und auswärtigen Unterbringung eines behinderten Kindes ist durch ein vorheriges amtsärztliches Gutachten oder ein Attest eines Medizinischen Diensts der Krankenversicherung nachzuweisen.

Streitig war die steuerliche Berücksichtigung der Kosten für die krankheitsbedingte Heimunterbringung eines Kindes.

Hintergrund

Der 1992 geborene Sohn war von Februar 2005 bis Juli 2007 wegen psychischer Erkrankung an ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) mit Schulverweigerung in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit massiven Störungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung untergebracht. Er erhielt dort eine psychotherapeutische, schulpsychologische Behandlung einschließlich der Beschulung. Die Stadt gewährte dazu Jugendhilfe in Form von Eingliederungshilfe. Der Vater hatte nach Abzug des Kindergelds, das die Stadt im Wege der Erstattung erhielt, ab 2006 einen Kostenbeitrag von 856 EUR zu zahlen.

Für das Streitjahr 2007 machten die Eltern 12.741 EUR einschließlich Nachzahlungen für 2006 als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das FA berücksichtigte unter Beachtung von Erstattungen und einer Haushaltsersparnis den Abzugsbetrag mit 5.804 EUR. Das FG sah die Kürzung um eine Haushaltsersparnis als gerechtfertigt an und wies die Klage ab. Dagegen wandten sich die Eltern mit der Revision.

Entscheidung

Aufwendungen für eine Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Jedoch ist in folgenden Fällen die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen formalisiert nachzuweisen:

  • Für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel ist eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers vorzulegen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV).
  • In den abschließend geregelten Fällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ist ein amtsärztliches Attest oder eine Bescheinigung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) erforderlich. Das betrifft u.a. die psychotherapeutische Behandlung und die auswärtige Unterbringung eines behinderten Kindes (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b bzw. c EStDV).
  • Dieser qualifizierte Nachweis muss vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein (§ 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV).     

Hiervon ausgehend beschäftigt sich der BFH gar nicht mit der vom FG und den Eltern herausgestellten Frage, ob und in welcher Höhe wegen der Heimunterbringung des Kindes eine Haushaltsersparnis gegengerechnet werden könnte. Denn unstreitig lag hinsichtlich der psychotherapeutischen Behandlung und Heimunterbringung des Kindes keine Bescheinigung des Amtsarzts bzw. des MDK vor. Der gesetzlich geforderte formalisierte Nachweis ist daher nicht erbracht. Auf diesen Nachweis kann nach Auffassung des BFH nicht verzichtet werden. Er kann auch nicht durch andere Unterlagen wie die Stellungnahme eines Arztes oder Psychotherapeuten bei der Gewährung der Eingliederungshilfe ersetzt werden. Die Revision der Eltern wurde daher - ohne zur Problematik der Haushaltsersparnis eine Entscheidung zu treffen - vom BFH - zurückgewiesen.

Hinweis

Der BFH bestätigt in dieser Entscheidung, dass die erst durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 geregelten formalisierten Nachweiserfordernisse auch rückwirkend für die noch offenen Fälle gelten. Denn mit § 64 EStDV n.F. wurde lediglich die Rechtslage in dem Sinne wieder hergestellt, wie sie vor einigen in 2010 ergangenen Urteilen, die den formalisierten Nachweis nicht mehr verlangt hatten, der gefestigten Rechtsprechung entsprach. Ferner bekräftigt der BFH, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf Art und Ursache der Erkrankung - immer aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und daher zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre typisierend zu berücksichtigen sind.

Die Notwendigkeit einer vorherigen ärztlichen Begutachtung kann allerdings zu Härten führen, wenn die Betroffenen von dieser Formalie keine Kenntnis haben konnten. Ist der Sachverhalt aufgrund anderer Unterlagen klar ersichtlich, sollte daher im Billigkeitswege geholfen werden können.

Der BFH stellt ergänzend noch klar, dass das Verbot der "reformatio in peius" seiner Entscheidung nicht entgegensteht. Dieses Verbot besagt lediglich, dass das Gericht eine vom FA vorgenommene Steuerfestsetzung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern darf. Im finanzgerichtlichen Verfahren kann daher die Steuer nicht über den vom FA festgesetzten Betrag hinaus erhöht werden. Das Gericht (hier der BFH) kann jedoch gleichwohl die Steuerfestsetzung bereits dem Grunde nach verneinen, selbst wenn im finanzamtlichen Verfahren - wie hier - lediglich über die Höhe gestritten wurde. Den Eltern verbleibt somit trotz ihres Unterliegens im Prozess der vom FA anerkannte Abzugsbetrag.

BFH, Urteil v. 15.1.2015, VI R 85/13, veröffentlicht am 27.5.2015

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