Aufrechnung im Insolvenzverfahren

Für die Zulässigkeit einer Aufrechnung während des Insolvenzverfahrens ist entscheidend, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird (Änderung der Rechtsprechung).

Hintergrund:

Nach der Insolvenzordnung v. 5.10.1994 (InsO) ist auch während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich die Aufrechnung durch einen Insolvenzgläubiger – und damit dessen abgesonderte Befriedigung – zulässig. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 InsO ist die Aufrechnung jedoch dann unzulässig, wenn der Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Das war nach der langjährigen Rechtsprechung des VII. Senats des BFH dann nicht der Fall – eine Aufrechnung des Finanzamts z.B. mit offenen Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens also zulässig -, wenn der Anspruch des insolventen Steuerpflichtigen gegen das Finanzamt zwar steuerrechtlich erst während des Insolvenzverfahrens entstanden war, jedoch auf dem Ausgleich einer vor Insolvenzeröffnung erfolgten Steuerfestsetzung beruhte, etwa bei einer Umsatzsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 UStG wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts (vgl. BFH, Urteil v. 17.4.2007, VII R 27/06, BStBl II 2009 S. 589).

Der VII. Senat hat die Zurückverlagerung des Entstehungszeitpunkts solcher Forderungen gegen das Finanzamt bisher für gerechtfertigt gehalten, weil zwischen der durch eine solche Berichtigung ausgelösten und der ursprünglich begründeten Steuerforderung ein enger Zusammenhang besteht, so dass das Steuerrecht den Steueranspruch entstehen lasse, bevor der eigentliche steuerliche Belastungsgrund eingetreten sei. Gegen dieses Rechtsverständnis haben die im BFH für die Umsatzsteuer zuständigen Senate (V. und XI. Senat) "Bedenken angemeldet". So hat der V. Senat in einem die Festsetzung von Umsatzsteuer betreffenden Verfahren entschieden, dass sich die Begründung steuerlicher Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimmt, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung "vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist" (BFH, Urteil v. 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009 S. 682). Dieser Rechtsauffassung ist nun der VII. Senat unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung gefolgt.

Im vorliegenden Fall hatte der Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH wegen uneinbringlich gewordener Forderungen aus einer Reihe von Ausgangsrechnungen Berichtigungen der Umsatzsteuer aus Jahren vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen, die zu Erstattungsbeträgen führten. Gegen diese Beträge erklärte das Finanzamt die Aufrechnung mit unbefriedigten Umsatzsteuerforderungen gegen die GmbH. Das Finanzgericht wies unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des VII. Senats des BFH die Klage des Insolvenzverwalters ab.

Entscheidung:

Der BFH gab dem Insolvenzverwalter Recht und entschied, dass der vom Finanzamt erklärten Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstehe. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei entscheidend, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht werde, die in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen also eintreten. Nicht entscheidend sei, wann die zu berichtigende Steuerforderung begründet worden sei. 

Hinweis: 

Mit der Aufrechnung durch das Finanzamt während eines Insolvenzverfahrens hatte sich der BFH auch in einer weiteren Entscheidung vom gleichen Tag zu beschäftigen (VII R 44/10). Dort erkannte der VII. Senat, dass eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer erklärten Aufrechnung dann nicht zu treffen sei, wenn Forderung und Gegenforderung im selben Besteuerungszeitraum entstanden sind und deshalb nach der Rechtsprechung des V. Senats (BFH, Urteil v. 24.11.2011, V R 13/11, BStBl II 2012 S. 298) gegeneinander zu verrechnen seien (sog. Saldierung gemäß § 16 UStG). In diesem Fall seien die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO nicht zu beachten. Da diese Saldierung in einem Steuerfestsetzungsbescheid nicht mehr vorgenommen werden könne, wenn vor Ablauf des betreffenden Steuerjahres das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, greife jene Verrechnung gleichsam automatisch; ein Streit über die Zulässigkeit einer zuvor vom Finanzamt erklärten Aufrechnung sei damit erledigt. 

BFH, Urteil v. 25.7.2012, VII R 29/11, veröffentlicht am 31.102012

Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Insolvenz