Abschreibungsbeginn bei Windkraftanlagen

Hat der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen, die vom Erwerber nach einem Probebetrieb abgenommen werden soll, geht das wirtschaftliche Eigentum erst mit dem Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs über.

Hintergrund

Die W-GmbH betreibt u.a. Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien. Im Juli 2000 schloss sie einen Kaufvertrag über den Erwerb zweier Windkraftanlagen (WKA). Die W hatte die Anlagenfundamente zu erstellen, für eine feste Zuwegung sowie für die Netzanbindung zu sorgen. Die WKA wurden im Dezember 2000 errichtet. Nach einem "Inbetriebnahme-Check" im Dezember 2000 haben die Anlagen ordnungsgemäß funktioniert und die W ging davon aus, dass sie Ende Januar 2001 ans Netz gehen können. Die externe Verkabelung wurde erst im Januar 2001 ausgeführt. Im Februar 2001 wurde erstmals Strom eingespeist. Nach einem Abnahmeprotokoll ging im Mai 2001 die "Verfügungsgewalt" und die "Beweisführungspflicht eines mangelhaften Produkts" auf die W über.

Das FA vertrat die Auffassung, die WKA könnten noch nicht in 2000 abgeschrieben werden, da das wirtschaftliche Eigentum erst mit der Abnahme im Mai 2001 übergegangen sei. Das FG stellte dagegen auf den "Inbetriebnahme-Check" vom Dezember 2000 ab, der die Betriebsfähigkeit bestätigt habe.

Entscheidung

Die Abschreibung (hier: degressive AfA und Sonderabschreibungen) setzt die Anschaffung und damit zumindest die wirtschaftliche Verfügungsmacht in dem Sinne voraus, dass der Erwerber als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist. Dass die externe Verkabelung erst im Folgejahr fertig gestellt wurde, steht der Abschreibung in 2000 nicht entgegen, da Abschreibungen auch für Jahre vor Inbetriebnahme geltend gemacht werden können. Voraussetzung ist jedoch das wirtschaftliche Eigentum und damit regelmäßig der Übergang von (Eigen-)Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten. Sind nicht alle diese Einzelkriterien erfüllt, bedarf es einer wertenden Beurteilung anhand der Verteilung von Chancen und Risiken, die aus dem Vermögensgegenstand erwachsen.

Die Kriterien - einerseits Besitz und andererseits wegen ausstehender Verkabelung noch keine Nutzungsmöglichkeit - sieht der BFH für den Streitfall nicht als entscheidend an. Denn wenn der Verkäufer eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach einem Probebetrieb abgenommen werden soll, ist für das wirtschaftliche Eigentum der mit der Abnahme verbundene Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache entscheidend. Im Streitfall war die Abnahme vertraglich an den Abschluss eines Probebetriebs und die anschließende Hauptinspektion gebunden, die erst im Mai 2001 stattgefunden haben. Möglicherweise ging das FG aber davon aus, dass der Vertrag anlässlich des "Inbetriebnahme-Checks" im Dezember 2000 mündlich im Sinne des sofortigen Gefahrübergangs abgeändert wurde.

Wegen dieser Unklarheiten hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat festzustellen, ob der Vertrag tatsächlich mit der Folge des vorzeitigen Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums abgeändert worden war. 

Hinweis

Jede WKA (mit Transformator und innerer Verkabelung) ist ein selbständiges Wirtschaftsgut. Daneben bestehen die externe Verkabelung (von den Transformatoren zum Stromnetz mit der Übergabestation) und die Zuwegung als weitere selbständige Wirtschaftsgüter. Für sämtliche Wirtschaftsgüter des Windparks ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der WKA maßgeblich. Das Ende deren Abschreibungszeitraums ist deshalb auch - trotz des früheren Abschreibungsbeginns - für die Zuwegung maßgebend. 

BFH Urteil vom 01.02.2012 - I R 57/10 (veröffentlicht am 25.04.2012)


Schlagworte zum Thema:  Gewinnermittlung, Abschreibung