Kürzung der Krankheitskosten um die zumutbare Belastung

Bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung ist die Kürzung um die zumutbare Belastung nicht verfassungswidrig.

Hintergrund

Streitig war, ob von der Krankenversicherung nicht getragene Krankheitskosten aus verfassungsrechtlichen Gründen ohne Ansatz einer zumutbaren Belastung zu berücksichtigen sind.

Eheleute machten Krankheitskosten von rund 1.200 EUR, die von der Krankenversicherung nicht übernommen wurden, als außergewöhnliche Belastung geltend. Das FA sah die Aufwendungen zwar dem Grunde nach als abzugsfähig an. Wegen der zumutbaren Belastung von rund 39.000 EUR (bei einem Ehepaar ohne zu berücksichtigende Kinder 6 % des Gesamtbetrags der Einkünfte von rund 650.000 EUR) verblieb jedoch kein Abzugsbetrag.

Die Klage, mit der die Eheleute geltend machten, die Kosten müssten ohne Gegenrechnung einer zumutbaren Belastung in vollem Umfang von der Bemessungsgrundlage der ESt abgezogen werden, wurde vom FG zurückgewiesen.

Entscheidung

Der BFH bestätigt die Auffassung des FA und des FG. Die Revision der Eheleute wurde zurückgewiesen.

Ausgangspunkt der Argumentation des BFH ist, dass der Staat - aus verfassungsrechtlichen Gründen - das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei stellen muss, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins benötigt. Die Bemessung des Existenzminimums richtet sich nach dem im Sozialrecht geltenden Leistungsniveau. Denn was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos zur Verfügung zu stellen hat, darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens wieder entziehen. Zu dem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch die Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung. Allerdings ist für die Bemessung des Existenzminimums hinsichtlich der Höhe und der Art der Aufwendungen auf das sozialrechtlich gewährleistete Leistungsniveau abzustellen. Nicht vom sozialhilferechtlichen Versorgungsniveau umfasste Aufwendungen sind nicht Teil des Existenzminimums. 

Hiervon ausgehend ist die Gegenrechnung der zumutbaren Belastung für Krankheitskosten nicht zu beanstanden. Denn auch Sozialhilfeempfänger müssen seit 2004 aus den ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln Zuzahlungen leisten. Diese Zuzahlungen sind bis zur Belastungsgrenze (2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen) von jedem Versicherten zu erbringen. Dadurch wird, wie das Bundessozialgericht entschieden hat, das verfassungsrechtlich gesicherte sozialrechtliche Existenzminimum nicht unterschritten (BSG v. 22.4.2008, B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221). Denn dem Gesetzgeber ist es erlaubt, Versicherte zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in Form von Zuzahlungen zu beteiligen, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann. Dementsprechend gehören diese Zuzahlungen auch nicht zum einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum.

Eine Zuzahlung kann nicht mehr zumutbar sein, wenn in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen wird. Solange jedoch die Zuzahlungen der Höhe nach das Existenzminimum nicht tangieren, ist eine Einschränkung der zumutbaren Belastung nicht geboten. Im Streitfall reduzierte sich nach Ausscheiden der nicht in das sozialhilferechtliche Leistungsniveau fallenden Aufwendungen (Zweibettzimmerzuschlag, Zahnreinigung usw.) der streitige Abzugsbetrag auf lediglich 143 EUR. Angesichts des Gesamtbetrags der Einkünfte der Eheleute (650.000 EUR) war kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum betroffen sein könnte.

Hinweis

Veranlagungen, bei denen der Abzug der zumutbaren Belastung bei Berücksichtigung von Krankheits- oder Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung in Betracht kam, wurden bisher nur vorläufig durchgeführt (zuletzt BMF v. 5.11.2015, BStBl I 2015, 786). Mit der der Zurückweisung der Revision - ebenso in dem Parallelurteil v. 2.9.2015, VI R 33/13 (NV), in dem es um 170 EUR ging - ist die Frage für die Praxis entschieden. Da gleichwohl gewichtige Stimmen im Schrifttum von der Verfassungswidrigkeit ausgehen, bleibt abzuwarten, ob die Problematik noch an das BVerfG herangetragen wird.

Ergänzend betont der BFH, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum nicht allein dadurch verfassungskonform berücksichtigt wird, dass nach Zahlung der Steuer ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung bleibt. Das Existenzminimum ist vielmehr in voller Höhe von der ESt freizustellen. Das gilt allerdings nur für Aufwendungen die tatsächlich verfassungsrechtlich dem einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzurechnen sind, weil sie dem sozialhilferechtlichen Leistungsniveau entsprechen. Die sozialhilferechtliche Krankenversorgung ist allerdings - weil nicht zuzahlungsfrei - gerade nicht Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus.

BFH, Urteil v. 2.9.2015, VI R 32/13, veröffentlicht am 23.12.2015