Auffahrunfälle : Zur Beweislage bei behauptetem Spurwechsel

Den letzten beißen die Hunde. Dies gilt jedenfalls weitgehend für Auffahrunfälle, auch auf Bundesautobahnen. Wer von hinten auf ein Fahrzeug oder auf ein Stauende auffährt, gegen den spricht der Beweis des ersten Anscheins: Es ist davon auszugehen, dass er einen Fahrfehler begangen hat. Die Faustformel will erstmal widerlegt werden.

Am 14.10.2011 waren der Kläger und der Beklagte mit ihren Fahrzeugen auf der Bundesautobahn A9 in Fahrtrichtung Berlin unterwegs. Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug nach seiner Aussage mit 170 km/h die linke Fahrspur. Aufgrund eines entstandenen Staus musste er sein Fahrzeug abbremsen.

Vollbremsung hingelegt?

Nach Aussage des Klägers und seiner Beifahrerin handelte sich dabei um keine Vollbremsung, sondern um eine dosierte Normalbremsung. Dabei fuhr das Fahrzeug des Beklagten von hinten auf das Fahrzeug des Klägers auf.  Wie so häufig wollte keiner der Unfallverursacher sein.

Aussagekräftiger Unfallschaden

Das Schadensbild der Fahrzeuge zeigte eine deutliche Überdeckung, d.h. die Schäden befanden sich am vorderen Fahrzeug schwerpunktmäßig auf der linken Fahrzeugseite, an dem auffahrenden Fahrzeug schwerpunktmäßig auf der rechten Fahrzeugseite.

Fahrzeugüberdeckung als Beweis für Hintermann-Verschulden?

Der Beklagte behauptete, zu dem Auffahrunfall sei es nur deshalb gekommen, weil der Kläger sein Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfallereignis von der mittleren Fahrspur auf die linke, von ihm ebenfalls befahrene Fahrspur herübergezogen habe.

Hierdurch habe der Beklagte nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Zum Beweis berief er sich auf das Schadensbild, das eindeutig belege, dass das vorausfahrende Fahrzeug noch nicht vollständig auf die mittlere linke Fahrspur gewechselt sei. Hierdurch sei es zu der deutlichen Fahrzeugüberdeckung gekommen.

Schadensüberdeckung erschüttert den Anscheinsbeweis nicht

Erstinstanzlich gab das Landgericht der Beklagten Recht und wertete die Überdeckung der Fahrzeuge als hinreichenden Beweis für die vom Beklagten aufgestellte Behauptung des plötzlichen Fahrspurwechsels.

Ganz anders das OLG: Der Senat stellte klar, dass bei einem Auffahrunfall grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, dass den Fahrer des auffahrenden Fahrzeugs

  • der Vorwurf der unangepassten Geschwindigkeit,
  • der Verletzung des erforderlichen Sicherheitsabstandes oder
  • sonstiger Unaufmerksamkeit treffe (OLG Düsseldorf, Urteil v. 08.03.2004, 1 U 152/03).

Dieser Beweis des ersten Anscheins sei vorliegend durch den Vortrag des Beklagten nicht wirksam erschüttert worden.

Spurgleiches Vorausfahren erforderlich

Allerdings sahen die Richter auch den Kläger in der Pflicht. Wenn der Unfallgegner den Beweis des ersten Anscheins dadurch zu widerlegen versuche, dass er einen plötzlichen Farbspurwechsel behaupte, so sei der Vorausfahrende im Gegenzug darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass er bereits so lange im gleichgerichteten Verkehr spurgleich voraus gefahren sei, dass der Hintermann den nötigen Sicherheitsabstand hätte einhalten können und müssen. Dieser Beweis war dem Kläger nach Auffassung des Senats allerdings gelungen.

Verschiedene Zeugen hatten im Prozess ausgesagt, dass das Klägerfahrzeug zwar tatsächlich einen Fahrspurwechsel vorgenommen habe, dies jedoch zeitlich so deutlich vor dem Unfallgeschehen, dass die Wahrung des Sicherheitsabstandes durch das Beklagtenfahrzeug problemlos möglich gewesen sei.

Ergebnis: Typischer Auffahrunfall

Das Gericht hielt insoweit insbesondere die Aussage der Beifahrerin des Kläger für glaubhaft, obwohl es sich hierbei um die Ehefrau des Klägers handelte und der Zeugin ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nicht ganz abzusprechen war. Aber auch die Feststellungen des Sachverständigen und die weiteren Zeugenaussagen stützen nach Auffassung des Senats die Grundaussage der Beifahrerin, so dass das OLG im Ergebnis von einem typischen Auffahrunfall ausging, bei dem den Fahrer des auffahrenden Fahrzeugs das alleinige Verschulden traf.

(OLG München, Urteil v. 24.10.2013, 10 U 964/13).

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