BGH sieht psychische Stalking-Folgen nicht als Körperverletzung

Bei Gerichtsverfahren wegen gravierender Stalking-Vorwürfe ist es für die Opfer oft von existenzieller Bedeutung, ob der Angeklagte inhaftiert wird bzw. eine psychiatrische Unterbringung erfolgt. Der BGH ließ eine Unterbringung nun daran scheitern, dass er die psychische Beeinträchtigung des Opfers durch lang anhaltende Nachstellungen nicht als Körperverletzung wertete.

Im August 2010 hatte der damals vierundzwanzigjährige Angeklagte das damals zweiundzwanzigjährige spätere Opfer während eines Urlaubs kennengelernt. Nach dem Urlaubsende hielten beide zueinander Kontakt, zu der vom Angeklagten gewünschten Liebesbeziehung kam es jedoch nicht. Anfang Februar erklärte die junge Frau dem Angeklagten, dass sie eine weitere Beziehung nicht wünsche und löschte den Angeklagten auch aus ihrer Freundesliste bei Facebook.

Aufbau einer Stalkingbeziehung

In der Folgezeit kam es zu vielfachen Kontaktversuchen seitens des Angeklagten, zunächst über Facebook, dann auf postalischem Wege bis hin zu Briefen an die Eltern der jungen Frau. Über die Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen, setzte der Angeklagte sich immer wieder hinweg. Er forderte sein „Opfer“ auf, sich vom neuen Lebensgefährten zu trennen und unterstrich dies mit schriftlichen, aber allgemein gehaltenen Drohungen.

Einsetzen von Angstzuständen, Änderung der Lebensweise

Mehr und mehr entstanden bei der jungen Frau Angstzustände, sie fühlte sich verfolgt und änderte ihre Lebensweise. Sie litt unter Migräneanfällen und begab sich in psychologische Behandlung. Schließlich wechselte sie den Beruf und zog in eine andere Stadt. Auch die Eltern litten unter Angstzuständen und unter einem psychischen Belastungssyndrom. Später hatte die junge Frau Probleme, das Haus zu verlassen; sie konnte mehrfach nicht zur Arbeit gehen.

Unterbringung in der Psychiatrie

Die durch einen Psychologen beratene Strafkammer des LG ging von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten sowie einem Borderline-Syndrom aus. Sie verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung der jungen Frau und deren Eltern, wegen Nötigung, Bedrohung und Stalkings zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten und ordnete darüber hinaus die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Verurteilung wegen Körperverletzung nicht nachvollziehbar

Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH das Urteil des LG auf. Die Verurteilung wegen Körperverletzung sah der BGH-Senat auf der Grundlage der tatbestandlichen Feststellungen als nicht tragfähig an. Der BGH wies darauf hin, dass eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne von § 223 StGB in der Regel die Einwirkung auf den Körper des Opfers voraussetze.

Eine psychische Beeinträchtigung könne zwar auch als Körperverletzung gewertet werden, sie setze aber einen medizinisch belegbaren, nachteilig veränderten Zustand der körperlichen Verfassung heraus (BGH, Urteil v. 31.10.1995, 1 StR 597/92). Emotional starke Gemütsbewegungen beim Opfer erfüllten demgegenüber den Tatbestand der Körperverletzung alleine noch nicht. Vor diesem Hintergrund seien die Feststellungen des LG zu den Aufregungen und psychischen Problemen der Opfer nicht konkret genug, um eine Verurteilung wegen Körperverletzung zu rechtfertigen. Dies gelte in ähnlicher Weise für die Verurteilungen wegen Bedrohung und wegen Nötigung. 

Stalkingtatbestand mehrfach erfüllt

Die Verurteilung wegen unerlaubter Nachstellung gemäß § 238 StGB ließ der BGH dagegen grundsätzlich gelten. Insoweit wies der Senat allerdings darauf hin, dass dieser Tatbestand möglicherweise nicht nur einmal verwirklicht sei, sondern mehrfach. Eine einzelne Tat liege nur dann vor, wenn die einzelnen Tatsegmente den gleichen tatbestandlichen Erfolg beträfen. Insbesondere dann, wenn der Täter zum Beispiel nach einem Umzug des Opfers, weitere Handlungen vornehme, sei regelmäßig von einem neuen, eigenständigen Tatbestand auszugehen. In diesem Punkt sei vorliegend eine Verschärfung der Strafe denkbar.

Haftbefehl aufgehoben

Im Ergebnis hob der BGH das Urteil des LG insgesamt auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des LG zurück. Gleichzeitig hob es den bestehenden Haftbefehl auf und wies darauf hin, dass die Diagnose „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ allein nicht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigt (BGH, Beschluss v. 25.02.2003, 4 StR 30/03).

Sei zum Beispiel die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Betäubungsmittelkonsum zurückzuführen - was vorliegend nicht auszuschließen sei - so sei zu prüfen, ob der Täter in krankhafter Weise betäubungsmittelabhängig sei. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass mit Hilfe der Anordnung einer Maßregel in Verbindung mit einer Strafaussetzung zur Bewährung dem Angeklagten die Weisung erteilt werden könne, sich einer Therapie zu unterziehen (BGH, Urteil v. 23.05.2013, 4 StR 70/13).

Unterbringung nur bei substantieller Gefährlichkeitsprognose

Schließlich hielt der Senat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen für nicht verhältnismäßig. Der Unterbringung habe eine Gefährlichkeitsprognose vorauszugehen. Die prognostizierte Gefährlichkeit müsse sich auf Delikte beziehen, die zumindest der mittelschweren Kriminalität zuzurechnen seien.

Dies sei bei Straftaten nach § 238 StGB, die mit einer Höchststrafe von unter 5 Jahren bedroht seien, nicht ohne weiteres zu bejahen. Im Einzelfall sei vielmehr konkret zu prüfen, ob z.B. aufgrund der Aggressivität des Täters eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu befürchten sei (BGH, Beschluss v. 19. 12.2012, 4 StR 417/12).

An die Darlegung der Gründe für eine Einweisung seien umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr sich der zu beurteilende Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Grenzfall darstelle. Diese Punkte habe die nun zuständige  Kammer am Landgericht bei ihrer künftigen Entscheidung zu berücksichtigen.

(BGH, Beschluss v. 18.07.2013, 4 StR 168/13). 

Hintergrund: Flankierende Maßnahmen im Zivil- und Strafprozessrecht

Nach dem Gewaltschutzgesetz können Stalkingopfer zivilrechtlich eine Unterlassungsverfügung gegen den Täter erwirken, die es diesem verbietet sich im Umkreis der Wohnung des Opfers aufzuhalten, bestimmte Orte aufzusuchen oder unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln Verbindung mit dem Opfer aufzunehmen. Ein Verstoß gegen eine solche Gewaltschutzverfügung hat zur Folge, dass der Täter sich allein wegen der Verletzung des § 4 des Gewaltschutzgesetzes strafbar macht, ohne dass es noch einer Prüfung der Voraussetzungen des Stalkingtatbestandes bedürfte. Die Rechtsfolgen sind auch hier Geld- oder Freiheitsstrafe. Mit Einführung des § 112 a StPO wurde das qualifizierte Stalking, das zu einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Opfers führt, als eigenständiger Haftgrund für die Anordnung von Untersuchungshaft eingeführt. Voraussetzung ist allerdings Fortführungs- bzw. Wiederholungsgefahr.


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