Richtlinie 2006/126/EG Art. 11 Abs. 4 S. 1, 2 und 3, Art. 13 Abs. 2; FeV § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2

Leitsatz

Die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über den Führerschein (Neufassung) sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats eingehalten wurde.

EuGH, Urt. v. 26.4.2012 – Rechtssache C-419/10 (Hofmann)

1 Aus den Gründen:

" …"

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

[19] Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl des AG Memmingen v. 8.5.2007 wurde Herr Hofmann wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und für deren Wiedererteilung eine Sperrfrist von fünfzehn Monaten, d.h. bis zum 7.8.2008, festgesetzt. Dazu ist den dem EuGH vorgelegten Akten zu entnehmen, dass Herr Hofmann die Fahrerlaubnis, um sie nach Ablauf der Sperrfrist wiederzuerlangen, bei der zuständigen deutschen Behörde neu beantragen musste; diese hatte zu entscheiden, ob für die Wiedererteilung eine neue Fahrerlaubnisprüfung – zum Nachweis der Befähigung des Antragstellers zum Führen von Kfz – oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung – zum Nachweis seiner Eignung zum Führen von Kfz – erforderlich war.

[20] Bei einer Verkehrskontrolle am 17.3.2009 stellten die deutschen Behörden fest, dass Herr Hofmann einen am 19.1.2009 ausgestellten tschechischen Führerschein besaß, in dem als Wohnsitz seines Inhabers Lazany (Tschechische Republik) eingetragen war. Dieser Führerschein wurde von der deutschen Polizei bei einer weiteren Verkehrskontrolle am 25.3.2009 sichergestellt. Er wurde der zuständigen deutschen Fahrerlaubnisbehörde übersandt.

[21] Mit Schreiben v. 20.4.2009 wies diese Behörde Herrn Hofmann darauf hin, dass seine tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen von Kfz in Deutschland berechtige. Für den Fall, dass er nicht mit der Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks in diesem Dokument einverstanden sei, werde ein dahin gehender Feststellungsbescheid erlassen.

[22] Da Herr Hofmann die Einverständniserklärung nicht abgab, stellte die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid v. 15.7.2009 fest, dass sein tschechischer Führerschein nicht zum Führen von Kfz im deutschen Hoheitsgebiet berechtige, und ordnete an, dass auf ihm die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis in diesem Gebiet eingetragen werde.

[23] Am 13.8.2009 erhob Herr Hofmann beim VG Augsburg Klage mit dem Antrag, diesen Bescheid aufzuheben.

[24] Mit Urt. v. 11.12.2009 [Au 7 K 09.1155] wies das VG die Klage ab. Seiner Ansicht nach steht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen der Feststellung, dass Herr Hofmann nicht berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nicht entgegen, da Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 eine Abweichung von Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie darstelle. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 sei nicht entsprechend der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 ergangenen Rspr. des Gerichtshofs in den Urt. v. 26.6.2008, Wiedemann und Funk (C-329/06 und C-343/06, [zfs 2008, 473 =] Slg. 2008, I-4635) sowie Zerche u.a. (C-334/06 bis C-336/06, [DAR 2008, 459, vgl. auch zfs 2008, 362] Slg. 2008, I-4691), einschränkend auszulegen. Mit der nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 nunmehr gebotenen strikten Ablehnung der Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins unter den dort angeführten Voraussetzungen sei die Annahme von richterrechtlich begründeten Ausnahmen nicht vereinbar. Die wirksame Bekämpfung des “Führerscheintourismus’, die eines der Ziele der Richtlinie 2006/126 sei, setze vielmehr voraus, dass auch vergleichsweise strenge Eignungsvorschriften, wie sie in Deutschland bestünden, nach einem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis nicht umgangen werden könnten.

[25] Mit seiner vom BayVGH zugelassenen Berufung [zfs 2010, 536] beantragte Herr Hofmann sinngemäß, das Urt. des VG Augsburg und den Bescheid der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde v. 15.6.2009 aufzuheben, wobei er geltend machte, dass sich zunächst die Frage stelle, ob Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 auf ausländische Fahrerlaubnisse anwendbar sei, die wie im vorliegenden Fall am 19.1.2009 oder danach ausgestellt worden seien. Erst dann stelle sich die Frage, ob die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urt. genannte Rspr. des Gerichtshofs auf die am 19.1.2009 in Kraft getretenen Bestimmungen dieser Richtlinie Anwendung finde.

[26] Da der BayVGH Zweifel hat, ob die Rspr. zu Art. 1 Abs. 2 und zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 auf Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie ...

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