A. Einführung

 

Rz. 1

Ein Sachverständigengutachten wird regelmäßig aufgrund eines Beweisantrages einer Partei eingeholt. Beweisanträge können nur ausnahmsweise zurückgewiesen werden. Nach § 286 ZPO ist der Richter grundsätzlich zur Erschöpfung der Beweismittel verpflichtet.[1]

Das unberechtigte Übergehen eines Beweisantrages stellt sich als Versagung rechtlichen Gehörs dar.[2] Grundsätzlich darf ein Beweisantrag nur dann zurückgewiesen werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache unerheblich, bereits erwiesen oder offenkundig ist, wenn das Beweismittel unzulässig, unerreichbar oder völlig ungeeignet ist, oder wenn die behauptete Tatsache als wahr unterstellt wird.[3] Von daher darf ein Beweisantritt nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Behauptung unwahrscheinlich erscheint.[4] Ein Antrag auf Einholung eines verkehrsanalytischen Gutachtens kann in der Regel nicht abgelehnt werden. Bereits die Frage, welcher Umstand als Anknüpfungstatsache geeignet ist, kann im Regelfall nur von einem Sachverständigen beantwortet werden.[5] Ein Sachverständiger ist nur dann ein ungeeignetes Beweismittel, wenn feststeht, dass dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen nicht verschafft werden können, derer er für sein Gutachten bedarf.[6]

[2] BGH Urt. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414; OLG München Urt. v. 10.2.2012 – 10 U 4147/11, BeckRS 2012, 04212.
[3] BGH Urt. v. 17.2.1970 – III ZR 139/67, NJW 1970, 946, 949; Thomas/Putzo/Reichhold, § 284 Rn 5.
[4] BVerfG Beschl. v. 22.1.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BGH Urt. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414.
[5] OLG Jena Urt. v. 30.11.2011 – 7 U 178/10, BeckRS 2012, 04774; vgl. auch BVerfG Beschl. v. 9.10.2007 – 2 BVerfG 1268/03, BeckRS 2007, 28255; sowie BGH Urt. v. 23.2.1999 – VI ZR 76/98, NZV 1999, 242.

B. Die Auswahl des Sachverständigen

 

Rz. 2

Vorrangig sollen öffentlich bestellte Sachverständige ausgewählt werden (§ 404 Abs. 2 ZPO). Die Auswahl des Sachverständigen steht grundsätzlich immer im Ermessen des Gerichts. Eine Anhörung der Parteien zu der Frage, welche Person als Sachverständiger ausgewählt werden soll, sieht das Gesetz nicht vor. Allerdings soll das Gericht den Anregungen der Parteien nachgehen.[7] Einigen sich die Parteien vor Erlass eines Beweisbeschlusses auf einen Sachverständigen und teilen dieses dem Gericht mit, so ist das Gericht allerdings gehalten, den von den Parteien ausgewählten Sachverständigen zu beauftragen (§ 404 Abs. 4 ZPO).

[7] BGH v 19.10.1995 – VII ZR 209/94, NJW 1996, 196.

C. Die Einweisung des Sachverständigen

 

Rz. 3

Gemäß § 404a ZPO hat das Gericht die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen zu erteilen. Das bedeutet, dass es Sache des Tatrichters ist, dem Sachverständigen die von ihm benötigten Anknüpfungstatsachen vorzugeben.[8] Insbesondere bei streitigen Tatsachen hat das Gericht dem Sachverständigen mitzuteilen, von welchen Tatsachen er bei der Erstattung des Gutachtens auszugehen hat.[9]

 

Rz. 4

In der Praxis kommt es allerdings immer wieder vor, dass die Beweisfrage an den Sachverständigen völlig offen formuliert wird.

Beispiele hierfür sind:

 

Rz. 5

Wie hoch ist der Restwert?

Eine derartige Fragestellung erhebt sich regelmäßig in Verfahren, in denen die Parteien im Rahmen der fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens über die Höhe des Restwertes streiten. Wenn der Kläger häufig einen geringen Restwert benennt, behaupten die Beklagten einen höheren. Die richtige Beweisfrage müsste daher, da das Gericht an den Vortrag der Parteien gebunden ist, lauten:

Beträgt der Restwert 1.000,00 EUR oder 3.000,00 EUR?

Ansonsten kann es vorkommen, dass der Sachverständige die Beweisfrage dahingehend beantwortet, der Restwert beträgt nur 500,00 EUR oder beispielsweise 3.500,00 EUR.

 

Rz. 6

Wie hat sich der Unfall ereignet?

Bei dieser Fragestellung entzieht sich das Gericht seiner Aufgabe, einander widersprechende Zeugenaussagen zu bewerten. Welche Zeugenaussage glaubwürdig ist oder nicht, unterliegt primär der Beurteilung des Tatrichters. Er muss seine Beurteilung dem Sachverständigen mitteilen, damit dieser die Auffassung des Gerichts bei der Erstellung des Gutachtens zugrunde legen kann.

Zitat

"Hinzu kommt, daß das Berufungsgericht mehrfach eine Verwendung falscher Anknüpfungstatsachen durch den Sachverständigen als Begründung dafür ansieht, daß dessen Gutachten nicht zu folgen sei. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß es Sache des Tatrichters ist, dem Sachverständigen die von diesem benötigten Anknüpfungstatsachen vorzugeben (vgl. § 404a III ZPO). Soweit der Sachverständige Anknüpfungstatsachen wie medizinische Befunde, Zeugenaussagen oder anderes zugrunde legt, deren Berücksichtigung der Tatrichter – etwa weil unbewiesen oder ­widerlegt – für falsch hält, ist es Sache des Tatrichters, dem Sachverständigen die richtigen Anknüpfungstatsachen an die Hand zu geben und im Wege eines Ergänzungsgutachtens oder der Anh...

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