Nachdem ein Medien-Bombardement von Maultaschen-, Frikadellen- und ähnlichen Kündigungen die Republik seit Monaten in Aufregung hielt, wartete man mit angehaltenem Atem auf das Basta-Wort des BAG zur Bagatellkündigung. Was hat sich nun grundsätzlich dadurch geändert?

Der Bienenstich ist nicht "vom Tisch"

Aus der aktuellen Entscheidung des BAG ergeben sich letztlich keine echten Neuigkeiten im Hinblick auf die an eine wirksame außerordentliche Kündigung zu stellenden Voraussetzungen.

Sie verdeutlicht allerdings die Bedeutung der vor Ausspruch der Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung.

 

Ständige Rechtsprechung des BAG

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kann ein Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn der damit einher gehende wirtschaftliche Schaden gering ist. Daran hat sich durch die aktuelle Entscheidung des BAG nichts geändert.

 

Maßgeblich ist jeweils,

  • ob ein Sachverhalt ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu begründen = 1. Stufe und
  • unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist =2. Stufe

 

Prüfungsstufe 1: Was ist ein „an sich“ geeigneter wichtiger Grund?

Eigentum- und Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers sind grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu stützen (BAG, Urteil v. 12.8.1999, 2 AZR 923/98, NZA 2000 S. 421; BAG, Urteil v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen, sog. „Bienenstichurteil“.)

Entsprechende Delikte stellen an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Dies gilt auch für den Diebstahl oder die Unterschlagung von Sachen mit nur geringem Wert.

 

Keine Bagatellgrenze

Es gibt, auch wenn sich der Begriff Bagatellkündigung immer mehr einbürgert, keine Bagatellgrenze, innerhalb derer eine außerordentliche Kündigung entfallen würde.

 

Einzelfallumstände und Interessenabwägung (= 2. Stufe)

Auf Grund seiner Charakterisierung als Dauerschuldverhältnis ist vor Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht nur auf den in der Vergangenheit liegenden Verstoß selbst abzustellen.

Vielmehr ist entscheidend der Blick in die Zukunft zu richten und eine Prognose dahin gehend anzustellen, ob trotz des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien möglich und dem Arbeitgeber zumutbar erscheint.  

 

Stellung im Betrieb

Wie sich aus der aktuellen Entscheidung des BAG ergibt, wiegt ein Verstoß umso schwerer, wenn das Fehlverhalten mit den vertraglich geschuldeten Aufgaben und Obhutspflichten des Arbeitnehmers zusammenhängt und der Verstoß nicht nur außerhalb des konkreten Aufgabenbereichs des Arbeitnehmers nur bei Gelegenheit der Arbeitsleistung erfolgt.

 

Ausdrückliches Verbot

War das Verhalten des Arbeitnehmers ausdrücklich vom Arbeitgeber verboten, ist auch dies im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Bei dem Diebstahl oder der Unterschlagung von Geld aus der Kasse durch eine Kassierin versteht sich das entsprechende Verbot von selbst. In anderen Bereichen kann das Vorliegen eines ausdrücklichen Verbots im Einzelfall jedoch relevant werden.

 

Exkurs: Maultasche

So hat das Das ArbG Lörrach entschieden, dass eine fristlose Kündigung wegen Diebstahls wirksam sei. Hintergrund der Kündigung der 58-jährigen Altenpflegerin nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit war die Entwendung von sechs Maultaschen im Wert von drei bis vier EUR, die zwar ursprünglich für die Heimbewohner vorgesehen, jedoch übrig geblieben und für den Müll bestimmt waren.

In diesem Fall hatte die Arbeitnehmerin gegen eine ausdrückliche Anweisung des Arbeitgebers verstoßen. Dieser hatte untersagt, sich vom Essen der Heimbewohner zu bedienen. In der Berufungsinstanz vor dem LAG Baden-Württemberg (9 Sa 75/09)einigten sich die Arbeitsvertragsparteien am 30. 3. 2010 auf einen Abfindungsvergleich, nachdem der Vorsitzende Richter darauf hingewiesen hatte, das LAG würde die fristlose Kündigung für unwirksam erklären, da dem Arbeitgeber durch das Fehlverhalten der Arbeitnehmerin kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.

Aus der Äußerung des LAG lässt sich lediglich folgern, dass in dem betreffenden Einzelfall die Interessenabwägung des Gerichts mangels wirtschaftlichen Schadens zu Gunsten der betroffenen Arbeitnehmerin ausging.

In einer anderen Fallkonstellation kann hingegen der Verstoß gegen ein ausdrückliches Verbot durchaus den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen.

 

Betriebszugehörigkeit und soziale Gesichtspunkte

Die aktuelle Entscheidung des BAG macht deutlich, dass in die vorzunehmende Interessenabwägung insbesondere auch die Länge der (rechtlich unbeanstandeten) Betriebszugehörigkeit einzubeziehen ist.

Entsprechend dürfte auch der Gesichtspunkt des Alters des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein wie auch eine mit der Kündigung ggf. verbundene soziale Härte.

 

Thema Soziale Härte

Unter sozialer Härte sind etwa bestehende Unterhaltspflichten und die Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt zu fassen.

 

Emmely und ihr Verhalten nach der Tat: irrelevant

Das BAG hat in seiner aktuellen Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, das Prozessverhalten der Klägerin könne nicht zu ihren Lasten gehen, da es keine Rückschlüsse auf eine vertragsrelevante Unzuverlässigkeit zulasse.

Es erschöpfe sich in einer möglicher Weise ungeschickten und widersprüchlichen Verteidigung. Die Vorinstanz hatte demgegenüber noch angenommen, dass dieses Kriterium Berücksichtigung finden müsse.

(BAG, Urteil v. 10.6.2010, 2 AZR 541/09).