Agile Transformation: Von starren Prozessen zu agilen Netzwerken

Um dem digitalen Wandel zu begegnen, beginnen Unternehmen, sich intern neu zu organisieren. Das Arbeiten in agilen Projekten und Einheiten soll dabei helfen. Der Personaldienstleister Hays hat analysiert, wie die agile Transformation gelingt und wo das Etablieren agiler Strukturen derzeit noch hakt.

Um Wege in eine agile Organisation zu finden, reisen viele deutsche Unternehmenslenker ins Silicon Valley, das Vorzeigetal für agiles Arbeiten. Die Hoffnung der Firmenchefs: die richtigen Impulse dafür finden, aus dem eigenen Unternehmen mit Top-Down-Strukturen eine digital integrierte Organisation zu machen.

Agile Transformation: Inspiration aus dem Silicon Valley?

Zurück in Deutschland entstehen aus den gesammelten Eindrücken und Erfahrungen dann meist ausgegründete Innovation-Labs oder andere dezentrale Einheiten, die nach den agilen Prinzipien der Start-up-Kultur an neuen Produkten und Ideen tüfteln. Doch dieser Ansatz ist organisatorisch meist schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt, glaubt Marc Stoffel, Geschäftsführer von Haufe-umantis: „Solch eine neu gegründete agile Einheit, wird nie so produktiv sein, wie ein organisch gewachsenes Start-up.“

Agile Transformation parallel zum "Tagesgeschäft"

Tatsächlich sind Unternehmen in der Transformation herausgefordert, ihre Managementaufmerksamkeit auf zwei völlig unterschiedliche Organisationsformen zu richten: den Aufbau neuer agiler Netzwerke und dem Betrieb des Bestandsgeschäfts. Im einen Bereich wird ein Großteil der Umsätze gemacht, im anderen Teil sollen agile Prozesse und Projekte sich durchsetzen, um die Firma schnell nach vorne zu bringen. Diesen Bedeutungszuwachs agiler Vorhaben verzeichnet auch die aktuelle Studie „Von starren Prozessen zu agilen Projekten“ des Personaldienstleisters Hays in Zusammenarbeit mit dem Analystenhaus PAC.

Demnach ist der Anteil der Projektarbeit nach Auskunft der Befragten in den vergangenen Jahren um über 60 Prozent angestiegen. Agile Methoden wie wie Design Thinking oder Scrum nehmen dabei einen immer höheren Stellenwert ein. Zwei Drittel aller Befragten stufen sie als wichtig ein, und sogar 40 Prozent nutzen sie bereits. 

Spagat zwischen Kerngeschäft und agilen Einheiten managen

Unternehmen sind einerseits gefordert, innovativ zu sein  und immer schneller und flexibler auf Marktanforderungen zu reagieren - und das bei steigender Komplexität. Andererseits dürfen sie ihr  Brot-und-Butter-Geschäft mitsamt den etablierten Prozessen und Vorgehensweisen nicht vernachlässigen. Genau dieser Zwiespalt treibt Unternehmen zunehmend in die agilen Projekte, meint Marc Stoffel: „Sie hoffen, ihre gesamte Organisation kann sich so flexibler gestalten, um entsprechend auf Veränderungen reagieren zu können.“ Mitarbeiter verbringen heute im Schnitt bereits 35 Prozent ihrer Arbeitszeit in Projekten. Allerdings sagt dies noch nichts über den Erfolg dieser Organisationsform aus. Denn laut Studie scheitert immerhin nahezu jedes sechste Projekt.

Agile Netzwerke: Organisationsdesign und Arbeitsverständnis der Mitarbeiter müssen zueinander passen

Für Marc Stoffel ein untrügliches Zeichen dafür, dass Organisationsdesign und Arbeitsverständnis der Mitarbeiter noch nicht zueinander passen. „Agiles Vorgehen ist noch ein zartes Pflänzchen anstatt eine interne Bewegung der Veränderung.“ Um es zum Wachsen zu bringen, müsse das Management die Klaviatur beider Organisationsformen, also agile Netzwerke sowie die hierarchisch geprägte Top-down-Struktur bedienen. Ansonsten entsteht eine gegenseitige Abwehrhaltung,“ weiß er aus Kundengesprächen. Und spricht in diesem Zusammenhang vom „Upgrade des Betriebssystems“ einer Firma.  Gemeint ist damit, das Management muss den Mitarbeiter stärker in den Mittelpunkt stellen. Denn viele haben schon für sich erkannt: die bisherigen Command-and-Control-Praktiken führen nicht wirklich dazu, dass sich der Mitarbeiter hoch-motiviert in neuen Projekten engagiert. Was allerdings die notwendige Voraussetzung dafür ist, um agile Projektarbeit in den Fokus der Organisation rücken zu können.

Silodenke hemmt interne Vernetzung und erschwert den agilen Wandel

Um diesen Hürden beizukommen, müssen Unternehmen dringend an einer funktionierenden fachübergreifenden Vernetzung arbeiten.  „Silodenke und Mauern einzelner Abteilungen sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass zunächst die Kulturfrage geklärt werden muss“, rät Uwe Rotermund, Inhaber des Beratungsunternehmens Noventum Consulting und Experte in Sachen Vertrauenskultur. Mitarbeiter fernab ihres Kerngeschäftes permanent für die Entwicklung neuer Prozess- und Lösungswege verfügbar zu machen, sei eine Sache. Sie dann mit der für Agilität notwendigen Entscheidungskompetenz auszustatten, ungleich herausfordernder: „Um dies über agile Projekte zu erreichen, bedarf es separater Business-Einheiten“, erklärt Rotermund. Und ergänzt: „Häufig sind solche Strukturen noch nicht zu Ende gedacht.“ „Wir sehen erfolgreiche agile Projekte in nicht agilen Unternehmen, sofern sie in einem geschützten Umfeld stattfinden, in dem die notwendigen Freiräume vom Management geschaffen wurden,“ berichtet auch Stefan Sack aus seiner Beratungspraxis.

Kooperationskultur als Basis für agile Projektarbeit

Und überall dort, wo dies nicht der Fall ist, haken die neuen Initiativen immer an denselben Stellen: Wer seine Mitarbeiter jahrelang ermutigt hat, allein nach KPI-Mustern zu agieren und mit Kollegen in den Wettbewerb zu treten, anstatt zu kooperieren, darf sich über Schotten zwischen den Abteilungen nicht wundern. Rotermund plädiert daher für eine Kooperations- und Verantwortungskultur: „Nur innerhalb einer solchen Umgebung kann die Entwicklung neuer Services oder Dienstleistungen direkt von dezentralen, interdisziplinären Teams gedeihen."  Aus Gründen der Flexibilität sei es auch fehl am Platze, wenn das Management hier versucht zu delegieren: Ständiges Reporting und vermehrte Abstimmungsschleifen würden den Projektverlauf behindern. Zudem sind Projektumfänge in der Transformation derart komplex, dass die Leitungsebene große Mühe hat, die richtigen Entscheidungen zu fällen. „Agile Projekte sind für das Top-Management die beste Gelegenheit, sich in der Rolle des Befähigers und Unterstützers zu üben, anstatt zu kontrollieren und bestimmen“, meint Rotermund.

Kürzere Planungszyklen und regelmäßige Reflexion des Plans

72 Prozent der Studienteilnehmer sehen eine unrealistische Projektplanung als Grund für das Scheitern eines Projekts. Auch Rotermund kennt das Problem und warnt dvor übertriebenem Planungsfokus: „Zwischenschritte sollten nicht zu detailverliebt geplant werden.“ Es sei besser, weniger zu planen und möglicherweise sogar ganz ohne Budget und nur mit kurzfristigem Forecast zu arbeiten. Und Marc Stoffel empfiehlt: „Planung ist wichtig, aber genauso wichtig ist die regelmäßige Reflexion des Plans.“

Agile Transformation: Fünf Handlungsfelder

Erstens: Neue agile Businesseinheiten vom Kerngeschäft trennen

Um eigenständige kleine Digitalisierungs-Initiativen zu etablieren, sollten sie zunächst vom Kerngeschäft getrennt werden, da sie anderen Regeln und Abläufen folgen. Diese Initiativen brauchen allerdings dieselbe Aufmerksamkeit des Managements wie das Bestandsgeschäft.

Zweitens: Mehr Freiräume für die agilen Einheiten schaffen

Durch fehlende Unterstützung des Managements sowie dem Druck des Tagesgeschäftes hängen die Mitarbeiter häufig noch zu sehr im angestammten Arbeitsprozess fest. Hier sollte das Management neue Anreize schaffen, um Verbesserungsmaßnahmen Richtung Digitalisierung umzusetzen.

Drittens: Silodenken überwinden

Für eine erfolgreiche Transformation zum digitalen Unternehmen ist es essenziell, dass Fachbereiche ohne „Reibungsverluste“ miteinander kooperieren. Dazu sollten Organisationsdesign und Arbeitsverständnis der Mitarbeiter abgestimmt sein, also agile Netzwerke und Top-down-Struktur sich aufeinander zu bewegen. 

Viertens: agile Projektarbeit in den Fokus der Organisationsentwicklung stellen

Wenn einerseits die Bedeutung von agilen Projekten zunimmt, andererseits eine ganze Reihe dieser Projekt noch scheitern, muss das Management gezielt an den Ursachen dafür arbeiten: zum Beispiel eine dezidierte Position für ein abteilungsübergreifendes Projektmanagement schaffen oder die Umsetzung der agilen Methoden prüfen.

Fünftens: Neue Verantwortungskultur etablieren

Um das Commitment der Mitarbeiter für eine neue Art der fachübergreifenden Zusammenarbeit zu erhalten, muss das Management mehr Verantwortung an seine Mitarbeiter abgeben. Das kann sich beispielsweise darin äußern, für die Kernaufgaben ca. 80 Prozent der Arbeitszeit einzuplanen und für neue agile Projekte die übrigen 20 Prozent zu verwenden. Das bedeutet keinesfalls Steuerungsverlust für das Management, sondern soll lediglich die Ausgestaltung von wichtigen neuen Aufgabenfeldern an das entsprechende Team übertragen.

 

Schlagworte zum Thema:  Agilität, New Work, Industrie 4.0, Digitalisierung