Im Vatikan ist es bereits geschehen, in vielen Firmen ist es hingegen noch ein No Go: der freiwillige Rückzug von Führungskräften – denn noch gilt vielen die Schornsteinkarriere als einzig logische Karriereentwicklung. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie das "Downstepping" gelingen kann.

Was vor wenigen Jahren noch undenkbar war, ist bereits vor zweieinhalb Jahren in der Katholischen Kirche geschehen: Papst Benedikt ist zurückgetreten, weil er statt an der Macht zu kleben lieber in Klausur gehen wollte, und hat den Weg freigemacht für frischen Wind im Vatikan.

Papst pfeift auf Machtinsignien und straft die Kurie ab

Wäre das nicht schon genug der Reformen für die nicht gerade für ihre Wandlungsfähigkeit bekannte Organisation, pfeift der neue Stellvertreter Christi auf Erden auch noch auf die althergebrachten Machtinsignien des Papsts: So lehnt Franziskus es etwa ab, die auffälligen roten Papstschuhe und besonders kostbare Gewänder zu tragen.

Als Höhepunkt legte sich Franziskus dann auch noch im vergangenen Jahr – ausgerechnet zum Fest der Liebe – mit der Kurie an, indem er sie öffentlich abstrafte: 15 Krankheiten diagnostizierte er den Mitgliedern der Kirchenverwaltung, unter anderem übertriebene Arbeitswut, geistige Versteinerung, geistliches Alzheimer und, auch das noch, die Vergötterung des Vorgesetzten.

Schornstein gilt immer noch als logische Karriereentwicklung

Wenn ein solcher Wandel in der Führungskultur der konservativen Katholischen Kirche möglich ist, sollte sich doch in modernen Unternehmen längst niemand mehr an ungewöhnlichen Karrierewegen stören, oder?

Doch weit gefehlt: Noch immer wird der freiwillige Rücktritt einer Führungskraft argwöhnisch beobachtet – zumal, wenn die neue Position hierarchisch unterhalb der alten Position angesiedelt ist.

Nach wie vor gilt vielen die klassische Schornsteinkarriere als Ideal der logischen Karriereentwicklung. Das bestätigte einmal mehr im vergangenen Jahr eine Studie, die der Personalberater von Rundstedt in Kooperation mit dem Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen unter 35 Topmanagern, Linienverantwortlichen und Führungskräften aus dem HR-Bereich führender deutscher Unternehmen durchgeführt hat.

Beharren auf Führungskarriere verhindert alternative Karrierewege

Die Befragten beklagten bei den Tiefeninterviews, dass bei der Karriereentwicklung etablierte Strukturen und Rollenvorstellungen nur schwer zu durchbrechen seien. Dies liegt den befragten Managern zufolge vor allem daran, dass immer noch ein bestimmtes Karrierebild vorherrsche: nämlich das der Führungskarriere.

In vielen Unternehmen gebe es zudem immer noch starke Unterschiede in der Ausstattung und Ausgestaltung von Fach- und Führungskarrieren. Dies verhindere alternative Karrierewege, glauben viele Studienteilnehmer.

Dabei zeigt die Studie auch: Ginge es nach dem Willen der Mitarbeiter, hätten alte Karrieremodelle längst ausgedient. Diese wünschen sich nämlich mittlerweile ganz andere Karrierewege – etwa das der sogenannten "Mosaikkarriere", die den Wechsel von Fach-, Führungs- oder Projekteinsätzen gestattet. 

Früherer Praktikant als neuer CEO gewählt

Dass ein Wandel in der Führungskultur à la Benedikt und Franziskus nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Unternehmenspraxis möglich ist, zeigen jedoch bereits erste Beispiele.

Erfahrungen mit Downstepping in der Praxis hat etwa bereits der Schweizer Anbieter für Talent-Management-Lösungen Umantis, der seit 2012 zur Haufe Gruppe gehört, gemacht: Der Mitgründer und CEO des Unternehmen, Hermann Arnold, ist vor zwei Jahren vom Posten des CEO zurückgetreten. Er war überzeugt: Sein Nachfolger würde das Unternehmen, das gerade der Start-up-Phase entwachsen war, in seiner nächsten Entwicklungsphase besser führen können als er.

"Mein Gefühl fragt mich manchmal: Wäre ich mindestens genauso gut gewesen wie mein Nachfolger? Oder, die demütigendste Frage: Warum ist er besser?"

Hermann Arnold, Mitgründer und Ex-CEO von Haufe-Umantis

Der vakante CEO-Posten wurde ausgeschrieben, interessierte Kandidaten konnten sich bewerben und zur demokratischen Wahl stellen. Gewählt wurde schließlich Marc Stoffel, der einige Jahre zuvor als Praktikant im Unternehmen angefangen hatte.

Kein Einmischen in die Entscheidungen des Nachfolgers

Was das für ihn bedeutet hat und wie sich der Verlust der CEO-Macht anfühlt, hat Arnold kürzlich bei seinem Vortrag beim Ted-X-Salon am 3. November in Berlin zum Thema "Leading in a Complex World" dargestellt. 

Wichtig für das Gelingen des Projekts "Downstepping" war demnach, dass sich Arnold nicht in die Entscheidungen seines Nachfolgers einmischte. "Nachdem die Wahl erfolgt war, gab ich ihm 100 Tage – indem ich mich vollständig aus der Firma zurückzog und verreiste", sagt Arnold in seinem Ted-X-Talk.

Auch nach seiner Rückkehr war dies eine wichtige Regel: "Gib Ratschläge nur, wenn Du gefragt wirst. Ansonsten sei still und lerne deine Lektionen", rät Arnold.

"Downstepping" bedeutet eine Rückkehr auf die alte Position

Arnold kehrte zunächst in einer operativen Rolle zurück – obwohl er ursprünglich geplant hatte, startegisch zu arbeiten. Dass es dann doch eine operative Rolle wurde, begründet Arnold so: Er habe ein gutes Beispiel dafür geben wollen, dass man sich nicht zu schade sein sollte für einen Rücktritt von der Führungsrolle und die Rückkehr ins Team – zumal er, als er selbst CEO war, genau das von einigen Mitarbeiter gefordert hatte.

Denn das sei genau die wörtliche Bedeutung von "Downstepping": "Es geht nicht darum, eine Führungsposition zu verlassen – sondern darum, dahin zurückzukehren, wo man hergekommen ist", berichtet der Ex-CEO.

Nicht die Ego-Seite übersehen

Inzwischen berichtet Arnold direkt an seinen Nachfolger. Und er verschweigt nicht, dass diese Situation zuweilen an seinem Ego kratzt – zumal auch er sich dessen bewusst ist, dass ein Rücktritt vom CEO-Posten von vielen nicht gerade als Erfolgsgeschichte wahrgenommen wird. "Auch ich respektiere Menschen, die die Karriereleiter hinabklettern – aber nicht so sehr, wie ich Leute respektiere, die sie hinaufklettern", so Arnold. "Mein Verstand sagt mir: Es war eine gute Entscheidung. Aber mein Gefühl fragt mich manchmal: Wäre ich mindestens genauso gut gewesen wie mein Nachfolger? Oder, die demütigendste Frage: Warum ist er besser?"

Zudem musste er Situationen erleben, in denen plötzlich nicht mehr seine Meinung gefragt war – weil er nicht mehr der CEO war.

Seine Erfahrungen beim "Downstepping", vor allem die damit verbundene Möglichkeit, von seinem Nachfolger zu lernen, hätten aber einen besseren Leader aus ihm gemacht. "Ich habe verstanden, dass unsere Macht uns von denjenigen gegeben wird, die uns folgen – und nicht von unserer großartigen Persönlichkeit oder unserer herausragenden Fähigkeiten und Urteilen", resümiert Arnold.

Tipps, damit das Downstepping gelingt:

  • nicht an der Führungsrolle kleben
  • bereit sein, ins Team zurückzukehren und direkt an die neue Führungskraft zu berichten
  • den Nachfolger seine eigenen Entscheidungen treffen lassen
  • nur Ratschläge geben, wenn der Nachfolger danach fragt
  • die neue Position nutzen, um mehr über Leadership zu lernen – um als besserer Leader in eine Führungsposition zurückkehren zu können

Plädoyer für ein agiles Führungsverständnis

Doch wie lässt sich das Ego-Problem lösen? Arnold schlägt eine von vorneherein zeitlich begrenzte Amtsdauer vor, wie es etwa bei Universitätsdekanen oder US-Präsidenten der Fall ist. Dann werde der Rückzug vom Amt nicht als Versagen wahrgenommen.

Zudem plädiert er für ein agiles Führungsverständnis, bei dem auf den Aufstieg eine Phase des Rückzugs und des Lernens folgt, bevor ein erneuter Kreislauf von Aufstieg, Rückzug und Lernen einsetzt. Eine solche Karriereentwicklung könnte letztlich die Schornsteinkarriere ersetzen, so Arnolds Vorschlag.

Den kompletten Ted-X-Talk von Hermann Arnold können Sie sich ansehen unter  www.youtube.com.

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