Brexit: Mitarbeiterentsendung nach Großbritannien

Rund 2.500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen in Großbritannien. Auslandsentsendungsexperte Omer Dotou vom BDAE gibt Tipps für Sofortmaßnahmen und erklärt, was sich bei Entsendungen nach Großbritannien ändern wird.

Haufe Online-Redaktion: Der Austritt Englands aus der EU ist beschlossen. Was bedeutet das für Mitarbeiter, die nach Großbritannien entsandt sind oder in der nächsten Zeit entsendet werden sollen?

Omer Dotou: Großbritanniens Austritt wird zunächst keine mittelbaren Auswirkungen auf die Entsendungen selbst haben. Solange der Austritt nicht vollzogen ist, gilt hinsichtlich der sozialen Absicherung der nach Großbritannien entsandten Mitarbeiter zunächst weiterhin die EU-Verordnung VO (EG) 883/2004 vom 1. Mai 2010. Diese wird mindestens noch zwei Jahre, eher sogar länger gelten, denn die Austrittsklausel des Artikels 50 in den EU-Verträgen räumt zwei Jahre Zeit für die Scheidungsgespräche ein.

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Wir gehen davon aus, dass es eine Übergangsphase geben wird. Nach dem Austritt werden Deutschland und Großbritannien die Fragen der sozialen Absicherung bei Mitarbeiterentsendungen neu verhandeln beziehungsweise das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen (SVA) auf den Prüfstand stellen müssen. Dieses wurde bis zum EG-Eintritt Großbritanniens am 1. April 1973 bei Entsendungen nach und aus Großbritannien angewandt. Tatsächlich ist es immer noch gültig und wurde für Sonderfälle genutzt, die mit der EU-Verordnung nicht geregelt werden konnten.

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Wird das Abkommen neu verhandelt, hoffen wir, dass die bisherigen Vereinfachungen hinsichtlich der erworbenen Ansprüche und der Einbeziehung und Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen Berücksichtigung finden.

Haufe Online-Redaktion: Noch gilt in sozialversicherungsrechtlicher Sicht also EU-Recht. Wie ist das mit dem Aufenthaltsrecht?  

Dotou: Aufenthaltsrechtlich stellt sich in der Zukunft vor allem ein neues Problem: Der Großteil der Europäer, die derzeit dank der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Vereinigten Königreich beschäftigt sind, erfüllt die Visa-Voraussetzungen nicht, die für Arbeitnehmer außerhalb der EU gelten, wie eine aktuelle Studie des Migration Observatory Oxford zeigt.

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Diese Tendenz könnte steigen, sobald im April 2017 neue, verschärfte Visa-Regeln für ausländische Bewerber in Kraft treten. Aus steuerrechtlicher Sicht ist noch abzuwarten, ob das bereits existierende Doppelbesteuerungsabkommen angefasst wird. Tatsache ist: Die bekannte Entsendepraxis wird sich zwangsläufig ändern.

Haufe Online-Redaktion: Was für Sofortmaßnahmen sollten Unternehmen ergreifen, die Mitarbeiter nach Großbritannien entsandt haben?

Dotou: Entsandte Mitarbeiter in Großbritannien sowie britische Expats in Deutschland sollten umgehend die bereits erworbenen Rentenansprüche beziehungsweise Wartezeiten dokumentieren lassen. Das heißt, die Entsandten sollten alle Unterlagen über ihre ins britische System gezahlte Beiträge zusammenstellen und bei den jeweiligen Behörden im Land bestätigen lassen.

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Laut EU-Verordnung gilt, dass im EU-Ausland erworbene Anwartschaften und Wartezeiten zusammengerechnet werden. Das heißt, die in England, aber auch beispielsweise in Frankreich und natürlich in Deutschland erworbenen Rentenversicherungszeiten werden bei der Prüfung der Voraussetzungen für den deutschen Rentenanspruch zusammengerechnet - vorausgesetzt, die Zeiten entfallen nicht auf die gleiche Zeit. Durch die Zusammenrechnung können erforderliche Wartezeiten oder Mindestbeitragszeiten (auch die britischen) erfüllt werden. Es bleibt abzuwarten, ob es diese Möglichkeit künftig auch noch geben wird.

Haufe Online-Redaktion: Wie wird sich der Austritt auf die Entsendepolitik der Unternehmen auswirken?

Dotou: Inwieweit der Brexit beispielsweise Entsendungen ins Vereinigte Königreich reduzieren wird, ist schwer zu beurteilen. Klar ist bereits jetzt, dass die Entsendepraxis deutlich komplizierter sein wird und Personaler vor großen Herausforderungen stehen werden. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt für Entsendungen nach Großbritannien sozialversicherungs- als auch aufenthaltsrechtlich noch EU-Recht gilt, ist es aus administrativer Sicht für Personaler unerheblich, ob ein Mitarbeiter nach England oder nach Belgien entsandt wurde – man kennt die Rechtsgrundlagen.

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Künftig wird Großbritannien bei der Gestaltung einer Entsendungen quasi wie ein Drittstaat betrachtet werden, also praktisch wie China oder Indien. HRler müssen sich dann in ein komplett neues Recht einarbeiten, was ohne Hinzuziehung von Experten kaum möglich sein wird.

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Eine weitere große Hürde wird die Entsendung von Mitarbeitern aus Drittstaaten nach Großbritannien darstellen. Sowohl das Sozialversicherungs- als auch das Doppelbesteuerungsabkommen sind ja nur bilateral – betreffen also beispielsweise nicht den indischen Ingenieur, der für einen deutschen Automobilkonzern arbeitet und in die britische Niederlassung entsandt wird oder umgekehrt nach Deutschland kommen soll. Aus der Erfahrung wissen wir, dass zwischenstaatliche Abkommen gut funktionieren, aber sie können oftmals Sonderfälle nicht regeln – vor allem wenn andere Staaten involviert sind.

Haufe Online-Redaktion: Laut dem Auswärtigen Amt sind in Großbritannien etwa 2.500 deutsche Unternehmen niedergelassen – wird der Austritt für diese Nachteile haben?

Dotou: Unter diesen Unternehmen sind auch sehr große Konzerne wie Siemens, Heidelberger Zement oder Linde. Und natürlich beschäftigen diese Unternehmen etliche Mitarbeiter, die nach Großbritannien entsandt werden oder bereits entsandt worden sind. Vom administrativen Standpunkt wird es sicherlich erst einmal Nachteile geben: aktuell bedeutet der Brexit für entsendende Unternehmen große Unsicherheiten. Wir wissen nicht, welche Regierung an die Macht kommen und wie sie Themen wie etwa Aufenthaltsrecht - Großbritannien ist kein Schengen-Staat - Einkommens- und Körperschaftssteuer oder Auslandsinvestitionen behandeln wird.

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Aber wir sehen auch Vorteile. Künftig können beide Länder die Bedingungen unabhängig von anderen Staaten für sich aushandeln. Bilaterale Verträge bieten Spielraum für Sonderregelungen und individuelle Wünsche – in einer Gemeinschaft ist das nicht ohne weiteres möglich. Die Ausgestaltung dieser Bereiche könnte deutschen Firmen zum Vorteil, aber auch zum Nachteil gereichen.

 

Omer Dotou ist Leiter Unternehmensberatung und Internationale Mitarbeiterentsendung bei der auf Entsendeberatung und Auslandsversicherungen spezialisierten BDAE Gruppe.

Das Interview führte Katharina Schmitt.

Schlagworte zum Thema:  Brexit, Auslandsentsendung