BGH: Streupflicht nur bei allgemeiner Glättebildung

Sind auf einem Grundstück nur vereinzelte Glättestellen ohne erkennbare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vorhanden, ist nicht von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen, die eine Streupflicht begründen könnte.

Hintergrund: Auf kleiner Eisfläche ausgerutscht

Die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes verlangt von einer Grundstückseigentümerin Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines Sturzes auf dem Grundstück.

Die Klägerin suchte am 23.12.2007, einem Sonntag, gegen 10:00 Uhr das Grundstück einer Kundin, auf, um ihr eine Weihnachtskarte zukommen zu lassen. Das Erbringen von Pflegeleistungen an diesem Tag war nicht geplant.

Von der Straße aus führt ein zwei Meter breiter Weg auf dem Grundstück zum Hauseingang, den die Klägerin benutzte, um die Karte in den Briefkasten einzuwerfen. Als sie in Richtung ihres Fahrzeugs zurückging, kam sie auf dem Weg zu Fall, weil sie auf einer Eisfläche von ca. 20 x 30 cm ausrutschte. Der Weg zum Hauseingang war nicht gestreut. Die Klägerin meint, die Grundstückseigentümerin habe die Räum- und Streupflicht verletzt.

Entscheidung: Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt

Der BGH weist die Schadensersatzklage ab. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (hier: Räum- und Streupflicht) war nicht festzustellen.

Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, das heißt eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen.

Besteht eine Streupflicht, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls. Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt.

Nach diesen Grundsätzen bestehen Räum- und Streupflichten regelmäßig für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, das heißt an Sonn- und Feiertagen ab 9:00 Uhr. Bei Auftreten von Glätte im Laufe des Tages ist allerdings dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen.

Vorliegend war nicht von einer allgemeinen Glättebildung, sondern nur von einzelnen Glättestellen auszugehen. Dies reicht nicht aus, um eine Räum- und Streupflicht anzunehmen.

Die Grundstückseigentümerin musste hier auch nicht damit rechnen, dass an einem Sonntag schon um 10.00 Uhr Personen ihr Grundstück betreten, zumal keine Pflegeleistungen für diesen Tag vorgesehen waren. Unter diesen Umständen bestand keine Notwendigkeit, eventuelle Streumaßnahmen mit besonderer Eile durchzuführen. Eine vorbeugende Verpflichtung zum Bereithalten eines Streudienstes bestand nicht, weil an dem Sonntagvormittag auf dem Weg zum Haus weder mit einem Fußgängerverkehr zu rechnen war noch die Wetterlage dafür Anlass gab.

(BGH, Urteil v. 12.6.2012, VI ZR 138/11)


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