Kapitel
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

Für sich aus öffentlichem Recht ergebende Verpflichtungen sind Rückstellungen zu bilden, wenn die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist. Kapitel 1 informiert über die Voraussetzungen, unter denen eine Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gebildet werden kann.

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Handelsrechtlich Rückstellungen sind nach dem Maßgeblichkeitsprinzip in die Steuerbilanz zu übernehmen, wenn keine steuerlichen Regelungen dem entgegenstehen.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist entweder

  • das Bestehen einer dem Betrag nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeiten oder
  • die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit.

Darüber hinaus muss der Unternehmer ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen. Für die Passivierung rechtlich noch nicht bestehender Verbindlichkeiten ist des Weiteren ein wirtschaftlicher Bezug der möglicherweise entstehenden Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich.

Rückstellungen auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen

Auch für Verpflichtungen, die sich aus öffentlichem Recht ergeben, sind Rückstellungen zu bilden, wenn die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist, weil sie auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums zielt.
Dies ist regelmäßig der Fall,

  • wenn eine Behörde eine Verfügung erlässt oder
  • bei einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung.

Bei konkreten gesetzlichen Vorgaben kann sich die Verpflichtung auch allein aus dem Gesetz ergeben und somit zur Bildung einer Rückstellung führen. Weiter ist erforderlich, dass an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind, sodass sich der Unternehmer sich der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann.

Öffentlich-rechtliche Verpflichtungen sind häufig mit einer Umsetzungsfrist verbunden

Ist am Bilanzstichtag die Umsetzungsfrist für behördlich bestimmte Maßnahmen bereits abgelaufen oder war eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Vornahme der Maßnahme zum Bilanzstichtag vorhanden, ist eine Rückstellung zu bilden (BFH, Urteil vom 17.10.2013, IV R 7/11) Verbindlichkeiten entsprechen dem Anspruch eines Gläubigers auf ein bestimmtes Handeln. Sie verkörpern damit eine dem Inhalt und der Höhe nach bestimmte Leistungspflicht, die erzwingbar ist und zudem eine wirtschaftliche Belastung darstellt.

Bei dem Grunde nach bestehender, aber der Höhe nach ungewisser Verbindlichkeit ist eine Rückstellung zu bilden

Im Fall des Bestehens einer dem Betrag nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Auf das Vorliegen des wirtschaftlichen Bezugs der Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem Bilanzstichtag kommt es im Fall einer rechtlich entstandenen und nur der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit nicht an. Das BMF (H 5.7 Abs. 2 EStR) vertritt die Auffassung, dass Rückstellungen erst dann gebildet werden dürfen, wenn

  • es sich um eine Verpflichtung gegenüber einem anderen oder um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung handelt,
  • die Verpflichtung vor dem Bilanzstichtag verursacht ist,
  • mit ihrer Inanspruchnahme aus einer nach ihrer Entstehung oder Höhe ungewissen Verbindlichkeit ernsthaft zu rechnen ist und
  • die Aufwendungen in künftigen Wirtschaftsjahren nicht zu Anschaffung- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut führen.

Nach dem o. a. BFH-Urteil reicht das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung am Bilanzstichtag aus, sodass keine wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag erforderlich ist. Eine gesetzliche Verpflichtung ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu bejahen. Im bilanzsteuerlichen Sinn ist sie in dem Zeitpunkt entstanden, zu dem die in der konkreten Regelung enthaltenen Rechtsfolgen ausgelöst werden. Nach dem BFH-Urteil vom 17.10.2013 ist dies bei Verwaltungsakten der Zeitpunkt der Bekanntgabe.

Vom Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung nach der Bekanntgabe ist regelmäßig auszugehen, wenn eine Umsetzungsfrist festgelegt ist. In diesem Fall entsteht die Verpflichtung rechtlich erst im Zeitpunkt des Fristablaufs (vgl. auch BFH, Urteil vom 6.2.2013, I R 8/12). Ist die Verpflichtung an eine Bedingung geknüpft, entsteht die Verpflichtung erst bei Eintritt der Bedingung.

Mit seinem Urteil vom 17.10.2013 hat der BFH die Auffassung vertreten, dass eine wirtschaftliche Verursachung nicht anzunehmen sei, wenn eine Anpassungsverpflichtung vorliege, welche auf die Ermöglichung der objektiven Nutzung eine Wirtschaftsguts nach Ablauf des Bilanzstichtags gerichtet sei. Daher hat der BFH die Anerkennung der Rückstellung des Luftfahrtunternehmens hinsichtlich der Maßnahmen, für welche die Frist am Bilanzstichtag noch nicht abgelaufen war, versagt.

Ergebnis: Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten scheitert nicht am Fehlen des Tatbestandsmerkmals der wirtschaftlichen Verursachung, wenn am Bilanzstichtag eine rechtliche Verpflichtung zu bejahen ist. Fehlt es an einer rechtlichen Verpflichtung, ist das Vorliegen einer wirtschaftlichen Verursachung zwingende Voraussetzung für eine Rückstellungsbildung.

Rein rechtliches Entstehen der Verbindlichkeit bei Nichtablauf der Frist

Würde beispielsweise für die durchzuführenden Maßnahmen die Umsetzungsfrist erst nach Ablauf des Jahres enden, käme die Bildung einer Rückstellung nicht in Betracht. Denn die der Rückstellung zugrunde liegende Verbindlichkeit wäre im Jahr der Rückstellungsbildung weder rechtlich dem Grunde nach entstanden noch wirtschaftlich verursacht.